Kuniyoshi

 

Autor/en:        Matthi Forrer

Verlag:           Prestel

Erschienen:    München London New York 2020

Seiten:            288

Buchart:         Hardcover auf Japan-Art in Box

Preis:              GBP 99,00

ISBN:             978-3-7913-8509-9

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Hokusais Farbholzschnitt „Die große Welle von Kanagawa“, auf dem sich vor dem Hintergrund des erhabenen Fuji eine Monsterwelle bricht und grazile Fischerboote zu verschlingen droht, gehört zu den bekanntesten Werken japanischer Kunst. Dennoch war der Zuschlag mit 900.000 US-Dollar, für den ein Sammler am 22. September 2020 in der New Yorker Auktion von Christie´s dieses berühmte Blatt erwerben konnte eine Sensation – Weltrekord für einen Druck aus der Welt der „ukiyo-e“, jenem Genre, das in Japan vom 17. bis zum 19. Jahrhundert florierte und mit der Darstellung schöner Frauen und Schauspielern des Kabuki-Theaters, mit Szenen aus der Geschichte Japans und aus Märchen und Sagen und mit Flora, Fauna und Landschaften die zu Wohlstand gelangten Bürger von Edo zu Zeiten des Tokugawa-Shogunats erfreute. Nicht zuletzt waren es diese japanischen Farbholzschnitte, die nach der erzwungenen Öffnung Japans für den Welthandel vor allem über die großen Weltausstellungen Europa erreichten, die Mode des Japonismus begründeten und Künstler wie van Gogh, Toulouse-Lautrec, Bonnard und viele weitere eine neue Formensprache lehrten  und so den Aufbruch der Kunst aus den Zwängen des 19. Jahrhunderts zu neuen Bildwelten wesentlich beeinflussten.

Neben den Meistern der Landschaftsdarstellungen Hokusai und Hiroshige, neben Utamaro, der die Schönheit japanischer Frauen so treffend ins Bild setzte, dem geheimnisvollen Sharaku mit seinen Drucken bekannter Schauspieler und schließlich dem großen Haranobu, dessen Farbholzschnitte aus bis zu 12 Druckstöcken den Höhepunkt dieser Kunstgattung im späten 18. Jahrhundert einleiteten, blieb einer der ganz großen Künstler der ukiyo-e, Utagawa Kuniyoshi, sowohl in seiner Heimat wie auch im Westen lange Zeit nur wenig beachtet. Es ist Matthi Forrer, dem niederländischen Japanologen am Nationalmuseum für Ethnologie in Leiden und dem Prestel Verlag zu danken, dass nun eine großartige und opulent illustrierte Monographie über diesen vielleicht vielseitigsten japanischen Druckkünstler des 19. Jahrhunderts vorliegt.

Kuniyoshi wurde 1798 in Edo, damals mit weit über einer Million Einwohnern die größte Stadt der Welt, als Sohn eines Seidenfärbers geboren. Sein Talent wurde früh erkannt und schon mit 13 Jahren wurde er von dem Ukiyo-e-Meister Utagawa Toyokuni als Lehrling angenommen. Nur wenige Jahre später wurde er selbständiger Künstler doch der Erfolg ließ auf sich warten. Erst 1827 schafft er den Durchbruch und den Anschluss an die großen Meister seiner Zeit. Er erhielt den Auftrag, eine chinesische Novelle des 14. Jahrhunderts ins Bild zu setzen. Die vielfach mündlich überlieferten Geschichten einer Bande von Briganten, Banditen und Rebellen, sympathische Outcasts, die sich kämpferisch für Gerechtigkeit und gegen Korruption einsetzten, war im damaligen Japan ungeheuer populär und Kuniyoshis „108 Helden der Suikoden“ war ein Riesen-Erfolg. Erstmalig wurden hier Krieger mit Tatoos abgebildet und ihre grimmigen, martialisch bewaffneten aber stets in phantasievoll gemusterte Textilien gewandeten Gestalten in dramatischen Aktionen und Landschaften avancierten rasch zum Markenzeichen von Kuniyoshi. In Dutzenden Serien verherrlichte er die Schlachten und Heldentaten legendärer Samurai aus der an kriegerischen Begegnungen reichen Geschichte des alten Japan und traf damit genau den Geschmack oder das Bedürfnis der in Frieden und in Wohlstand lebenden Bürgerschaft des Landes. Von den weit über eintausend Drucken dieses Genres sind vor allem die eindrucksvollen Triptychons hervorzuheben, die das dramatische Geschehen gewissermaßen auf Breitwand noch lebendiger machten und Raum boten für zusätzlich agierende Gespenster, Monster und Ungeheuer. Daneben bediente Kuniyoshi auch traditionelle Motive, etwa die zu seiner Zeit so beliebten Landschaftsmotive, bei welchen westliche Einflüsse von Perspektive und Bildaufbau unübersehbar sind. Die vom Autor entdeckten Vorbilder aus westlichen Ansichtenwerken belegen, dass Japan in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits offen war für Einflüsse aus dem Westen. Und wiederum sind Kuniyoshis Drucke von prominenten Schauspielern des Kabuki-Theaters, von eleganten Geishas und gefeierten Kurtisanen mit deren fantasievollen Kostümen, Kimonos und Obis eine fast unerschöpfliche Quelle für immer wieder neue und überraschende Textilmuster; hier wirken wohl die Lehrjahre des jungen Künstlers in der Seidenfärberei des Vaters nach. Als dann ab 1841  die sogenannte Tenpo-Reform Darstellungen des Luxuslebens aus Theater, Gesellschaft und Mode untersagte, wandte sich Kuniyoshi neben Drucken aus der Pflanzen- und Tierwelt – berühmt sind hier etwa seine Drucke von Tigern und Drachen – humoristischen und satirischen Themen zu, die das Verbot auf intelligente Weise umgingen und sei es, dass er den Akteuren Katzengesichter verlieh.

Das übergroße Buchformat (37 cm Rückenhöhe) und die von der japanischen Buchform entlehnte ausschließlich einseitige Bedruckung der Bögen bringen die ca. 250 Abbildungen aus Kuniyoshis umfangreichen Werk, oft auch doppelseitig oder als Detail großartig zur Geltung. Und darüber hinaus vermittelt die Monographie neben dem Lebenslauf und dem vielseitigen Schaffen des Künstlers auch ein eindrucksvolles Bild von der Entwicklung Edos unter der Herrschaft des Tokugawa-Shogunats von einem  Fischerdorf zur Millionenstadt, zu einem Zentrum politischer Macht aber auch zu einer Keimzelle von Kunst und Kultur. Dem Leser wird bewusst, dass das Genre von ukiyo-e, das Utagawa Konyoshi so meisterhaft beherrscht, ohne den Kontext dieser auf- und anregenden Stadt mit ihren Theatern und Vergnügungsvierteln nicht das wäre, was es ist – ein Spiegel von Japan und seiner Gesellschaft zur Edo-Zeit.