Orientstickteppiche – Perser aus Deutschland

 

Autor/en:        Reingard Neumann

Verlag:           Museen Schloß Voigtsberg

Erschienen:    Oelsnitz/Vogtl. (Sachsen) 2019

Seiten:            106

Buchart:         Broschur

Preis:              € 10,00

ISBN:              ohne

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Die Ideen und Versuche engagierter Sammler orientalischer Teppiche und Textilien in Deutschland ein ausschließlich diesem Thema gewidmetes Museum zu errichten sind ebenso zahlreich wie erfolglos. Gescheitert ist dies nicht am Material – bedeutende Kollektionen, die von ihren Sammlern gerne an ein lebendiges Museum und nicht nur in einen rasch der Vergessenheit anheimfallenden Depotbestand gegeben worden wären, wurden in den vergangenen Jahrzehnten dann doch über den Handel oder auf Auktionen aufgelöst -, sondern in aller Regel an logistischen Fragen wie Standort, Platzbedarf oder Personal, vor allem aber an den Kosten für die Errichtung und den dauerhaftenden Betrieb eines Deutschen Teppichmuseums.

Über diesen Mangel kann auch das Teppichmuseum in Schloß Voigstberg in Oelsnitz im sächsischen Vogtland nicht hinwegtrösten, denn dessen zentrales Thema ist nicht der Orientteppich sondern die Geschichte der maschinellen und industriellen Teppichproduktion in Deutschland. Diese prägte, ausgehend von England, spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts über einen Zeitraum von 130 Jahren die wirtschaftliche Entwicklung dieser kleinen Stadt im südlichen Vogtland. Als sich mehrere Teppichfabriken unter der Bezeichnung TEFZET zu einem konzernmäßig aufgebauten und geführten Unternehmen zusammenschlossen wurde die Region in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einem der größten Teppichproduzenten weltweit. Das alles ist hochinteressant und in dem seit dem Jahre 2010 engagiert eingerichteten Museum zu erfahren, doch es wird den Liebhaber oder gar Sammler handgeknüpfter orientalischer Teppiche kaum zu einem Besuch verführen.

Dieses Potential hat indessen eine bereits im Oktober 2019 eröffnete und zum „Jahr der Industriekultur in Sachsen 2020“ bis zum 31. Dezember 2020 geplante Sonderausstellung im Teppichmuseum von Schloss Voigtsberg. Sie ist dem sogenannten Orientstickteppich gewidmet, einer Sonderform des maschinellen Teppichs. Ein hochkomplizierter, in den 20er Jahren international patentrechtlich geschützter, maschinell betriebener Stickkopf ermöglicht ähnlich wie die Handknüpfung eine völlig freie Muster- und Farbgestaltung und damit eine Produktion, die in ihrer Erscheinungsform und Ästhetik dem handgeknüpften orientalischen Original zumindest nahe kommen kann. Die Exponate dieser aus dem Bestand des Museums aber auch aus einigen privaten Sammlungen stammenden und heute fast vollkommen vergessenen TEFZET-Stickteppiche lohnen auf jeden Fall den Besuch des Teppichmuseums in Oelsnitz.

Das Museum ist derzeit aus Gründen der Corona-Pandemie „vorübergehend geschlossen“. Wann und unter welchen Besuchsbedingungen eine erneute Öffnung erfolgt ist offen.  Unbedingt empfehlenswert ist aber auf jeden Fall der von der Textilwissenschaftlerin Dr. Reingard Neumann (Lehrbeauftragte am Institut für Altorientalistik und Vorderasiatische Archäologie der Universität Münster) verfasste, umfangreiche Ausstellungskatalog, der beim Museum für den bescheidenen Preis von € 10,00 zzgl. Versandkosten bestellt werden kann (Museen Schloß Voigtsberg, Schloßstr. 32, 08606 Oelsnitz/Vogtl.; Telefon: 037421 729484; Email: museen@schloss-voigtsberg.de).

Trotz schwieriger Quellenlage – vieles ist in der Zeit nach 1990 verloren gegangen – erzählt die Autorin die spannende Geschichte der deutschen Teppichindustrie, die ihren Schwerpunkt zwar im Vogtland hatte, jedoch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sogar bis nach Herford, Hameln und nach München reichte und noch heute im österreichischen Waldviertel mit der Ausführung von Sonderaufträgen in Sticktechnik lebendig ist. Es ist auch eine Geschichte technischer Innovationen und vieler Erfindungen, die sich allerdings überwiegend als wenig zukunftsträchtig erwiesen. Erst das von der TEFZET am  24.11.1924 beim Eidgenössischen Amt für Geistiges Eigentum angemeldete und am 1. April 1926 unter der Nr. CH 114478 erteilte Patent auf eine „Teppichstickmaschine“ brachte den Durchbruch und markierte den Beginn einer Produktion, die die damalige Presse zu der Feststellung bewog, dass die Technik nun einen Grad der Vollkommenheit erreicht habe, dass sie der echten Orientware kaum nachsteht. Technik und Handhabung des Stickkopfes werden genau beschrieben. Dank einer ingeniösen Aufhängung kann der maschinell betriebene Stickkopf problemlos von Hand geführt werden und jeder Stickteppich kann ähnlich wie sein handgeknüpfter orientalischer Rivale auch bei identischer Vorlage als Unikat bezeichnet werden. Ob allerdings die seinerzeitige Werbung für diese Stickteppiche als “handgearbeitet“ wettbewerbsrechtlich korrekt oder irreführend war, ist niemals gerichtlich untersucht worden. Tatsache ist jedenfalls, dass in der Blütezeit dieser Produktion in den 30er Jahren in den Teppichfabriken in Oelsnitz hunderte dieser Stickköpfe im Einsatz waren und dass ein umfangreiches Programm unterschiedlichster orientalischer Teppichmuster zu einer Vielfalt farblich und qualitativ anspruchsvoller Stickteppiche beitrug.

Reiches Bildmaterial von Stickteppichen begleitet die Darstellung. Doch bei aller Bewunderung für die Technik wird deutlich, dass trotz der Bemühungen, dem Original möglichst nahe zu kommen – etwa den bei Grote-Hasenbalg wiedergegebenen Orient-Teppichen –, dass die Zeichner und Gestalter eine Motiv- und Formenwelt übernahmen, mit der sie nicht wirklich vertraut waren, was zu manchmal durchaus reizvollen Vereinfachungen oder Verfremdungen führen konnte aber auch zu Verzerrungen wie etwa bei der verkleinerten Kopie des berühmten Wiener Jagdteppichs. So erweist sich die Sticktechnik letzten Endes als ideal vor allem für europäisches Design, wofür als Beispiele der Mataré-Teppich in der St. Augustinus Kirche in Hameln oder der Altarteppich für den Berliner Dom genannt sein mögen.