Autor/en: Robert Hillenbrand
Verlag: HALI Publications Ltd mit Yale University Press
Erschienen: London, New York, New Haven 2022
Seiten: 504
Buchart: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: GBP 161,00
ISBN: 978-1898113-83-6
Kommentar: Michael Buddeberg
Mit dem „Buch der Könige“, dem „Shahnama“ des Dichters Ferdowsi (940-1020) besitzt Persien ein weltweit einzigartiges Nationalepos, das mit etwa 60.000 gereimten Versen die Geschichte Persiens von der Menschwerdung bis zum Untergang der Sassaniden-Dynastie (224-651 n.Chr.) umfasst. Es ist die Abfolge dieser Dynastien, die in einem lebendigen Mix von Mythen und Legenden, drastischen Abenteuern, romantischen Episoden, unglaublichen Heldentaten, höfischem Leben, Tigerjagd und Schlachtengetümmel, Drachen, Engeln, Monstern und Dämonen und schließlich auch historischen Fakten das Buch der Könige seit nunmehr eintausend Jahren zu einer identitätsstiftenden Basisliteratur für jeden Perser bzw. Iraner macht. Diese Popularität beruht in erster Linie auf der persischen Sprache, die sich schon unter den Samaniden im 9. und 10. Jahrhundert zu einem literarischen Instrument entwickelte, das bis heute wirksam ist.
Im frühen 13. Jahrhundert fegte der große Mongolensturm alles hinweg und Persien geriet in das Reich des Großen Khan in Peking, des größten Weltreichs, das je auf diesem Planeten existiert hat. Sprache und Kultur Persiens erwiesen sich indessen als überraschend widerstandsfähig und schon um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert entstanden unter der Herrschaft der mongolischen Ilchane illustrierte Manuskripte des Shahnama, Zeugnisse der fortwirkenden persischen Identität ebenso wie der Anpassung der ilchanidischen Oberschicht an ihr persisches Umfeld. Etwa ein Dutzend dieser illustrierten Shahnama sind aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts bekannt, unter ihnen auch das um das Jahr 1330 begonnene, überragende und einzigartige „Große Mongolische Shahnama“. Angelegt auf zwei Bände mit wohl 380 Seiten im übergroßen Imperialfolio-Format und versehen mit ca. 310 Illustrationen war es gewiss das bedeutendste Kunstwerk, das je die herrschaftlichen Hofateliers von Täbris, der Hauptstadt des Ilchanidenreiches, verlassen hat. Ob es allerdings wirklich fertiggestellt wurde oder nicht, ist ebensowenig bekannt wie sein Auftraggeber, wie die ausführenden Künstler, mindestens zehn, schätzt man, müssen es wohl gewesen sein, wie die Kalligraphen und Illuminatoren und wie der gesamte für ein solches Werk notwendige Tross von Handwerkern vom Papiermacher bis zum Einbandspezialisten. Das Große Mongolische Shahnama verschwand jedoch alsbald wieder von der Bildfläche, geriet in Vergessenheit und tauchte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Paris wieder auf. Zuvor soll es sich in der qadjarischen Royal Library in Teheran befunden haben, die, wenn man zeitgenössischen Berichten glauben mag, von vernachlässigten Harmensdamen systematisch geplündert worden sein soll. Dem europäischen Erwerber, dem in Paris tätigen und auf persische Artefakte spezialisierten, belgischen Händler George-Joseph Demotte (1877-1923) gelang es damals leider nicht, einen Käufer für das Gesamtwerk zu finden und so begann ein beispielloser Akt des Vandalismus, dem ein einzigartiges Kunstwerk bis auf wenige erhaltene Reste zum Opfer fiel.
Dieser spannenden Geschichte, vor allem aber der Bedeutung der nur 58 erhaltenen Folioseiten mit Illustrationen und den 12 Seiten Text, die sich noch dazu auf 22 Sammlungen und Institutionen rund um den Globus – die bedeutendste Sammlung von 22 Folios besitzt das Smithsonian National Museum of Asian Art in Washington – zerstreut haben und der bisher nur zögerlichen wissenschaftlichen Aufarbeitung dieses Schatzes hat sich der deutsch-schottische Kunsthistoriker und Islamwissenschaftler Robert Hillenbrand gewidmet und seine in Jahrzehznten erarbeiteten Forschungsergebnisse nun in einem aufwändigen Prachtband publiziert. Es ist das erste Buch, das alle erhaltenen und bis heute bekannten Bilder und Textseiten des Großen Mongolischen Shahnama in einem Band und das in vorzüglicher Farbqualität und mit zahlreichen Detaildarstellungen vereint. Hervorzuheben sind darüber hinaus neun, in einem speziellen Druckverfahren hergestellte Reproduktionen, die den reichlich durch die Verwendung von Gold geschaffenen, repräsentativen Eindruck der Originale vermitteln.
Das Jahr 1910, als das große mongolische Shahnama Europa erreichte, war die denkbar schlechteste Zeit für diese Art von exotischem Kunsthandwerk. Persische Buchkunst war, wenn überhaupt, ein Thema für wenige Spezialisten. Allgemein nahm man an, dass Text und Miniaturen in diesen Manuskripten keine Einheit bilden; darüber hinaus war, der politischen Situation in Persien geschuldet, einfach zu viel Material in kurzer Zeit auf dem Markt aufgetaucht und – das kommt noch hinzu – die Illustrationen dieses Manuskripts passten so gar nicht in die damals gängigen Kategorien persischer Miniaturen. Die ersten ernst zu nehmenden Kommentare erschienen nicht vor 1939, und die meist nur schwarz-weiß und nie als vollständige Serie wiedergegebenen Illustrationen bewirkten, dass bei aller intuitiven Bewunderung niemand die richtigen Worte für diese Bilder fand.
Robert Hillenbrand fand sie, und in den nach Themenkreisen aus Ferdowsis Buch der Könige geordneten Kapiteln wie etwa „Könige und Helden“, „Alexander der Große“, „Die Sassaniden“, „Tod und Begräbnis“, „der europäische Einfluss“ oder „Krieg“ versteht er es, die Einzigartigkeit des Großen Mongolischen Shahnama, seine visionäre Bedeutung für die persische, ja die islamische Buchkunst schlechthin, für die gänzlich neuartige Darstellung von Landschaft, die nie zuvor gesehene, oft dramatische Verwendung von Farbe, innovative Ideen für Bildaufbau und Komposition und ein neue Offenheit für die fantasievolle Darstellung von Natur und Übernatürlichem – um hier nur einige Aspekte hervorzuheben – anschaulich, wortreich und in lebendig moderner Sprache zu erklären. Das Große Mongolische Shahnama ist das ambitionierteste, mutigste, komplexeste und innovativste illustrierte persische Manuskript des 14. Jahrhunderts. Es gehört zu den wichtigsten Kunstwerken dieser Welt, meint Robert Hillenbrand und hofft, mit seinem großartigen Buch weitere Diskussionen und Forschungen über die vielen, noch immer unbeantworteten Fragen anzustoßen.