Book of Textiles – The Karun Thakar Collection

Autor/en:         Stephen Ellcock                                          

Verlag:            ACC Art Book, HALI

Erschienen:     London 2024

Seiten:             256

Buchart:          Hardcover

Preis:               GBP 38,00

ISBN:             978-3-78884-249-5

Kommentar:    Michael Buddeberg

Karun Thakar, dem in London lebenden, selbständigen Unternehmensberater mit Schwerpunkt auf Hilfsprojekte für die Dritte Welt wurde die Sammelleidenschaft wohl in die Wiege gelegt. Dieses Gen und sein frühkindliches Umfeld in Indien – seine Mutter betrieb ein Modeatelier in Delhi – hat den kleinen Karun alsbald in die Welt der Textilien verführt, seinen Sinn für die Schönheit und den Wert von Textilien geprägt und kaum dem Kindesalter entwachsen hat er sein Taschengeld in die bunten Stickereien der Banjaren investiert, die am Markt um das Red Fort angeboten wurden. Auch nach dem Umzug der Familie nach Großbritannien erleichterte ihm die Liebe zu Textilien den Start in einem Immigranten nicht immer freundlich gesinnten Land. Gezielt zu sammeln begann er mit 21 Jahren und heute, vierzig Jahre später, gehört die Karun Thakar Collection zu den bedeutendsten, vielseitigsten und umfangreichsten privaten Textilsammlungen der Welt. Schenkungen und Leihgaben an Museen, vor allem aber eine Reihe von Ausstellungen und Publikationen haben Teile der Sammlung bekannt gemacht und sind Zeugnis für Karun Thakars Anliegen, sein Wissen um die Schönheit, Vielfalt und Bedeutung von Textilien breiten Kreisen zu vermitteln.

Diesem Zweck dient auch das Book of Textiles, das eine bunt gemischte Auswahl von 200 Textilien aus der ´zigtausend Teile umfassenden Sammlung vorstellt. Eingeleitet wird diese Auswahl von einem Autor, der ebenso wie Karun Thakar einer obsessiven Sammelleidenschaft verfallen ist. Doch Stephen Ellcock sammelt ausschließlich digital, ist Bild-Kurator eines virtuellen Museums auf Facebook mit einer sechsstelligen Anzahl von Followern, einer Art Social-Media-Wunderkammer von Kunst, Krempel und Kuriositäten. Auch Ellcock ist durch textilbewusste und handwerklich tätige Vorfahren geprägt und findet die richtigen Worte für die Sammlung und die umfassende Bedeutung von Textilien für die Entwicklung der Menschheit. Textilien, so ist zu lesen, sind ein Handwerk und eine Kunstform, mit der jeder Mensch auf diesem Planeten umgeben und vertraut ist. Und das nicht nur in Form von Bekleidung oder von Heimtextilien sondern als Begleiter in allen Lebenslagen, im Beruf und in der Freizeit, bei Vergnügen und Erholung, bei Freude und Trauer. Und vielleicht gerade deshalb findet textiles Gestalten nur wenig Beachtung und seine Bewertung rangiert seit jeher am unteren Ende handwerklicher Tätigkeit oder gar angewandter Kunst. Hinzu kommt, dass selbst für sammelnswert gehaltene Textilien in der Regel aus anonymer Fertigung stammen, gewebt oder gestickt vielfach von unterbezahlten und in Männergesellschaften gering geachteten Frauen.

Und dann öffnet sich im Book of Textiles eine Wunderkammer textiler Kunst, ein Kaleidoskop von Farben, Formen und Techniken, eine in dieser Vielfalt in nur einer Publikation noch nie geschaute visuelle Reise durch (fast) alle Kontinente dieses Planeten. Den Schwerpunkt – kein Wunder – bildet Asien, hier vor allem Indien, dicht gefolgt von Afrika aber auch Europa und Amerika sind vertreten. Natürlich beeindrucken großartige Raritäten wie etwa eine perfekt erhaltene geometrische Stickerei aus dem marokkanischen Chechaouen des 17. Jahrhunderts, ein sogdisches Fragment mit gegenständigen Hirschen im Perlkreis aus dem 6. bis 8.  Jahrhundert, szenische Rumals aus Himachal Pradesh, ein prachtvoller usbekischer Chapan aus einem Samt-Ikat des 19. Jahrhunderts oder eine geknüpfte Kopfbedeckung der Tiwanaku- Kultur im präkolumbischen Peru. Nicht weniger beeindruckend und gleichermaßen Ausdruck für das unbestechliche Auge des Sammlers für textile Schönheit sind die mit Blüten und Ranken bemalten und für den Export nach England bestimmten, oft als bloß dekorativ empfundenen Chintz-Decken, die aus drei bunt gestreiften Webbahnen zusammengesetzten Schürzen tibetischer Frauen, die Boro genannten, aus Indigo-Stoffresten komponierte Kimonos aus Japan oder Raffia-Gewebe aus dem afrikanischen Königreich Kuba und schließlich ein auf ein ikat-gefärbtes Grundgewebe aufgestickter Suzani aus Usbekistan. Zu den Raritäten zählen auch zahlreiche Arbeiten, die wegen der Zweit- oder Drittverwertung von Material in aller Regel der Begehrlichkeit der Sammler entgangen sind wie etwa niederländische Kinderkappen des 18. Jahrhunderts aus Reststücken indischer Chintz-Exporte oder ein Paar japanischer Slipper, eine bäuerliche Arbeit, geschickt und zweckvoll aus allerlei indigogefärbten Baumwollresten genäht und in Form gebracht.

Mit dieser, beileibe längst nicht vollständigen Aufzählung ist hier, ähnlich einer Vorspeise, die Appetit auf weitere Gänge machen soll, die Vorfreude auf weitere Schätze der Karun Thakar Sammlung geweckt. Angesichts der erklärten Absicht des Sammlers, seine Textilien der Öffentlichkeit nicht vorenthalten zu wollen, sind die Chancen hierfür durchaus positiv. Dann aber wäre es schön, wenn die Beschreibungen ein wenig umfangreicher und deren Druck mit etwas mehr Druckerschwärze besser lesbar gestaltet wird.