Tibetan Rugs – The Molacek Collection ( 2 Volumes)        

Autor/en:         Rudi Molacek (Hrsg.: Daniel Shaffer)              

Verlag:            Hali Publications Ltd.

Erschienen:     London 2023

Seiten:             298/232

Buchart:          Hardcover

Preis:               GBP 88,00

ISBN:             978-1-898113-71-3

Kommentar:    Michael Buddeberg

Das zweibändige Opus über die Sammlung tibetischer Teppiche des Wiener Malers und Fotografen Rudi Molacek ist unendlich viel mehr als ein Sammlungskatalog. Es gewährt einen Zugang in eine fast unbekannte Welt geknüpfter Vielfalt und minimalistischer Ästhetik. Es öffnet Fenster für Blicke auf staunenswerte profane und sakrale Handwerkskunst früher Jahrhunderte auf dem Dach der Welt. Zu danken ist das nicht nur der Sammlung selbst, die mit fast 400 Exemplaren, davon etwa ein Drittel der seltenen Wangden Teppiche wohl die umfangreichste, mit Sicherheit aber weltweit die bedeutendste Kollektion tibetischer Teppiche ist. Entscheidend für die Einzigartigkeit dieser beiden Bände ist einmal die herausragende Gestaltung durch Anikst Design mit farblich einwandfreien, großen Abbildungen und zahlreichen doppelseitigen Detaildarstellungen, die fast schon das taktile Gefühl dieser dreidimensionalen Kunst vermitteln. Vor allem aber sind es die begleitenden Texte, mit denen ein halbes Dutzend der besten Kenner dieser exotischen Materie zu Wort kommen. Zu Wort kommen ist hier wirklich wörtlich zu verstehen, denn – einer Idee des Sammlers folgend – handelt es sich bei den Texten um im Wortlaut wiedergegebene Interviews, die Rudi Molacek mit Thomas Cole, Pascal Michaud, Rupert Smith und – last but not least – mit Thomas Wild geführt hat. Zugegeben, das ist gewöhnungsbedürftig, aber sehr rasch gewinnt man die Erkenntnis, wieviel lebendiger und unmittelbarer die Sprache gegenüber der Schreibe ist. Entdeckungen, Begeisterung und Randnotizen aber auch Zweifel oder Unkenntnis sprechen sich leichter als sie sich schreiben lassen. Kurz und gut, der Leser fühlt sich umso mehr mitgenommen auf eine Entdeckungsreisereise in eine ferne, unbekannte Region und ihre faszinierenden Teppiche.

Nach dieser Vorrede über ein ganz außergewöhnliches Teppichbuch nun zu den Inhalten, zur Sammlung Molacek tibetischer Teppiche. In Band 1 lässt der Sammler den Leser den Beginn seiner Leidenschaft mit dem Erwerb eines farbenfrohen Päonienteppichs aus dem frühen 20. Jahrhundert erleben; es folgen alsbald zufällige und dann gesuchte Kontakte mit Experten und einem sich rasch bildenden Schwerpunkt auf die frühen tibetischen Teppiche und hier besonders auf die urwüchsigen Wangden-Teppiche. Die Produktion des 20. Jahrhunderts, spielt dann nur noch am Rande eine Rolle, etwa durch ein halbes Dutzend besonders schöner oder ausgefallener Exemplare aus dem frühen 20.Jahrhundert, einer Zeit, die unter Kennern als die Spätzeit des sammelnswerten tibetischen Teppichs gilt. Neben der zunehmenden Verfügbarkeit synthetischer Farben im späten 19. Jahrhundert hat auch die um 1900 unter dem 13. Dalai Lama langsam einsetzende Öffnung Tibets zum Rest der Welt einen auffallenden Stilwandel im Teppichdesign bewirkt und eine deutliche Grenzlinie gesetzt.

Der in Band 1 behandelte Teil der Sammlung gibt einen umfassenden Überblick über die Vielfalt früher tibetischer Teppiche für den profanen Gebrauch. Geknüpft wurden sie in einer nur in Tibet angewandten Technik, bei der der Flor durch das Aufschneiden einer über einen Stab geknüpften Knotenreihe entsteht.  Diese vielfach variierbare Technik ermöglicht trotz einer relativ groben Struktur eine exakte, selbst Rundungen perfekt wiedergebende Zeichnung.

Diese Teppiche unterscheiden sich in Form, Größe und Muster je nach den verschiedenen Gebrauchszwecken, zum Sitzen, Schlafen und Reiten, es gibt sie als Läufer und Türteppiche, selten in Übergröße als Boden- oder Audienzteppiche und schließlich mit den begehrten, Macht und Ansehen vermittelnden Darstellungen von Tiger, Drache und Phönix bis zu den vielleicht noch selteneren Exemplaren mit tantrischen Motiven. Eine Sondergruppe bilden die sogenannten Tsuktruks, in mehreren Bahnen meist auf dem Rückengurtwebstuhl locker geknüpfte Stücke, sehr oft einfarbig aber mit lebhaftem Abrasch. Alle zusammen präsentieren sie eine schier unglaubliche Vielfalt an Gestaltungen vom zentrierten Design mit einem, zwei oder drei Medaillons bis zum bordürenlosen Ausschnitt aus einem unendlichen Rapport. Rauten-, Schachbrett- und andere geometrische Muster sind ebenso zu finden wie Arrangements von Blumen, Ranken und Symbolen aller Art, umspielt von Wolken, Swastika und Streumustern aus Blüten, kleinen Kreuzen und Juwelen – diese im Händlerjargon gerne „frogfoot“ genannt. Der sorgfältige Umgang mit dieser breiten Palette an Möglichkeiten, der geschickte und harmonische Einsatz der Naturfarben und die stets im Feld, vor allem aber in den Bordüren perfekten Ecklösungen lassen auf eine Jahrhunderte alte Tradition schließen.

Alle diese Teppiche werden mal in das frühe, mal in das späte, der größte Teil aber pauschal in das 19. Jahrhundert datiert. Entsprechend dem bereits angesprochenen Stilwandel um 1900 möchte ich dem überwiegend zustimmen, allerdings mit dem Hinweis, dass mit frühen Fotos, etwa des britischen Diplomaten Charles Bell, belegt scheint, dass, zumindest in ländlichen Regionen bis weit ins 20 Jahrhundert traditionelle Muster und dies wohl auch mit Pflanzenfarben geknüpft wurden. Dass der Erhaltungszustand nur selten ein Kriterium für das Alter ist, sei hier als Binsenweisheit und am Rande vermerkt. Der Stilwandel erfolgte also keineswegs abrupt, wie die Datierung der Teppiche vermuten lässt, sondern war ein sich über einen längeren Zeitraum erstreckender Vorgang, der sich in den städtischen Manufakturen schneller vollzog als in ländlichen Regionen und entlegenen Dörfern.

Band 2 ist dann ganz den Wangden-Teppichen gewidmet. Hier liegt der Schwerpunkt der Sammlung aber auch der Publikation, und hier kommen die von Rudi Molacek geführten Interviews mit den Händlern und Experten zum Tragen, durch deren Hände ein großer Teil dieser Teppiche in die Sammlung gelangten. Aus erster Hand erfährt der Leser, wie erst um 1990 und zunächst ganz vereinzelt diese Teppiche den Markt in Kathmandu erreichten und ihre Struktur, Herkunft und Zweckbestimmung zunächst rätselhaft blieben. Es war die Neugier engagierter Händler wie Thomas Cole, dieses Rätsel zu lösen und alsbald machten sich Rupert Smith und Thomas Wild mit ersten nebelhaften Informationen in Tibet auf den Weg, um schließlich in dem entlegenen Dorf Wangden südwestlich von Gyantse erste Spuren zu entdecken. Es war der Anfang einer vor allem von dem Berliner Teppichändler Thomas Wild mit Enthusiasmus und mit der Hilfe vieler Tibeter und des deutschen Tibetologen Franz Xaver Erhard betriebenen Feldforschung, die heute den überwiegend monastischen Zweck dieser Teppichgattung ebenso wie verschiedene Herkunftsregionen und stilistische Unterschiede zum Ergebnis hat. Neben Wangden können heute Lhokha und Meldro Gungkar als gesicherte Herkunftsorte mit jeweils spezifischen Varianten in Design und Farbe als gesichert gelten. Die besondere, grobe und – von hinten gesehen – kettsichtige Struktur dieser „Warp Face Back Rugs“, ihr Volumen und der meist ringsum vorhandene, viellagige Fransenbesatz erklären die fast ausschließliche Verwendung zum Gebrauch in Klöstern und Tempeln für die oft stundenlangen Rituale und Pujas. Das Musterrepertoire ist enges Quadratgitter, kleine, frei stehende und farblich abweichend gefüllte Quadrate, Swastika in vielen Variationen, Doppelvajras und Knotenformen prägen das Design und feiern mit den meist nur zwei oder kaum mehr Farben in naturgefärbter Harmonie ein Fest minimalistischer Ästhetik. Man versteht, dass diese Wangden Drumze so etwas wie einen Kultstatus erlangt haben.

Das Finale nach all dem Schwelgen in Schönheit, Ästhetik und Harmonie, das oft nur schwer in Worte zu fassen ist, gerät dann streng wissenschaftlich. Felix Elwert, Harvard Absolvent und Professor für Soziologie an der University of Wisconsin-Madison und sein Sammlerfreund Rudi Molacek haben sechzehn geeignet erscheinende Kandidaten aus ihren Sammlungen ausgewählt und für Radiocarbon-Tests zur Verfügung gestellt – mit einem erstaunlichen Ergebnis: Für sieben dieser Kandidaten ergab sich eine gesicherte  Entstehungszeit zwischen 1490 und 1650, so dass mit einigen bereits zuvor getesteten tibetischen Teppichen nun feststeht: Es gibt ihn, den klassischen tibetischen Teppich. Felix Elwert unternimmt es mit seinem die Publikation abschließenden Essay nicht nur, die hochkomplizierte Methode der Datierung organischer Materie aus der Halbwertzeit des in der Atmosphäre vorhandenen Kohlenstoff-Isotops 14C verständlich zu erklären, die Ergebnisse übersichtlich darzustellen und vor allem realistische Schlussfolgerungen für die Datierung tibetischer Teppiche zu ziehen.

Zum Schluss noch der Hinweis, dass in beiden Bände in einem Anhang alle Teppiche der Sammlung abbgebildet sind. Mit Ausnahme der Maße und der Knotendichte fehlen weitere Strukturangaben. Doch allein die Knotendichte, von 40 für einen „Wangden“ bis 1760 für einen „Tsuktruk“ ist ein geradezu verblüffendes Indiz für die Bandbreite tibetischer Knüpfkunst. So kann ich mich als Fazit zu dieser Publikation nur der Feststellung von Ben Evans aus seiner Einführung anschliessen: „… a book like no other, about a collection like no other“.

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