
Autor/en: Jane Casey
Verlag: Tenzing Asian Art
Erschienen: San Francisco Hong Kong, 2024
Seiten: 100
Buchart: Leinen
Preis: auf Anfrage
Kommentar: Michael Buddeberg
Dem einst bedeutenden Kloster Taklung in Zentraltibet, einem der Hauptsitze eines Zweiges der Kagyü, einer der vier großen buddhistischen Schulen in Tibet, erging es in der Kulturrevolution nicht anders als über 90 Prozent aller tibetischen Kultureinrichtungen. Die Roten Garden zerstörten auch dieses ehrwürdige Juwel tibetischer Kultur, machten die Gebäude dem Erdboden gleich, verwandelten die meterdicken Umfassungsmauern in unansehnliche Steinbrüche, zerstörten oder raubten unschätzbare Kunstwerke und eine legendäre Bibliothek, von dem unsäglichen Leid, das sie den Mönchen und den Bewohnern des nahe gelegenen Dorfes zufügten ganz zu schweigen. Der erst im späten 20. Jahrhundert zaghaft begonnene Wiederaufbau ließ ein eher bescheidenes, ländlich geprägtes Ensemble für eine nur kleine Anzahl von Mönchen entstehen. Viel mehr, insbesondere die Rekonstruktion der großen Versammlungshalle, des Lhakhang Chenpo mit 80 tragenden Säulen aus dem 13. Jahrhundert, ist kaum zu erwarten, denn dass Taklung seine ehemalige Bedeutung und Größe sowie Macht- und Prachtentfaltung niemals wieder erreicht, dafür sorgt das moderne China mit dem mehr und mehr vorangetriebenen Umbau Tibets in ein „Disneyland“ für chinesische Touristen.

Vor diesem düsteren Hintergrund ist es umso mehr zu begrüßen, dass Geschichts- und Religionswissenschaftler, Kunsthistoriker, Tibetologen und engagierte Laien nicht müde werden, tibetische Geschichte, Kunst und Kultur zu studieren und zu publizieren. Die amerikanische Kunsthistorikerin Jane Casey hat eine Gruppe von knapp einhundert tibetischen Thangkas, die dem Kloster Taklung und dem mit Taklung eng verbundenem Kloster Riwoche im östlichen Tibet zugeordnet werden und die um das Jahr 1300 entstanden sind, eingehend untersucht und die Ergebnisse in einem in Fachkreisen hochgelobten, zweibändigen Werk „Taklung Painting – A Study in Chronology“ (Serindia, Bangkok 2023) veröffentlicht. Mit einem weiteren, der vorliegenden Rezension zugrunde liegenden Buch hat die Autorin das wichtigste Thangka dieser Gruppe ausgewählt und in einer nach Inhalt, Form und Ausstattung beispielhaften Publikation vorgestellt. Dieses Thangka – das sei vorausgeschickt – ist ein etwa achthundert Jahre altes tibetisches Rollbild in vollkommen makelloser unrestaurierter Erhaltung und schon das darf man ohne Übertreibung als sensationell werten.
Zentrale Figur ist Taklung Thangpa Chenpo, auch kurz Tashipel genannt, 1142-1210, der das Kloster Taklung im Jahre 1180 gegründet hat. Tashipel war ein Khampa und Schüler des im Kloster Drigungtil tätigen, berühmten Lehrers Phagmodrupa. Unter Tashipel gewannen die Kagyü rasch an Bedeutung und das Kloster an Größe, Macht, Einfluss und Reichtum. Schon 30 Jahre nach der Gründung soll Tashipel etwa tausende Anhänger um sich versammelt haben. Sein an mönchischer Strenge und Bescheidenheit orientierter Zweig der Kagyüschule ist bis heute existent und wirkmächtig.
Die herausragende Bedeutung dieses mit 72 x 57 cm mittelgroßen Thangkas liegt neben seiner phänomenalen Erhaltung und außergewöhnlich feinen Ausführung in der ikonographischen Tiefe, mit der die für die Kagyü wichtigsten buddhistischen Gurus oder Lehrer, sowie Erscheinungsformen von Buddha und Bodhisattvas dargestellt sind, vor allem aber die Emanationen des Tashipel, der schon zu Lebzeiten einen gottgleichen Status und damit die Möglichkeit erlangt hat, nicht nur zugleich an verschiedenen Orten sondern auch in transzendenten Visionen zu erscheinen.
Der Aufbau des Thankas entspricht der gängigen Darstellungsweise jener Zeit. Um die im Zentrum dominant auf einem stilisierten, von Löwen und Elefanten getragenen Thron sitzende Person, hier Tashipel, reihen sich in verschiedenen, waagerecht oder senkrecht angeordneten Registern vignettenhaft zahlreiche weitere Figuren des buddhistischen Pantheon. Zwei Besonderheiten sind es, die dieses Thangka, neben seiner Erhaltung und der Feinheit seiner Ausführung besonders hervorheben.

Das ist zum einen die portraithafte Darstellung des Tashipel, dessen feine und individuelle Physiognomie mit typischer Frisur, einer Kappe aus Weidengeflecht, einem gepflegten Oberlippenbart und zartem Ziegenflaum am Unterkiefer auch in den transzendenten Erscheinungsformen erkennbar bleibt. Und es ist der didaktische Kunstgriff oder auch schlicht der Luxus dieser außergewöhnlichen Publikation, dass dort nicht nur das zentrale Portrait, sondern jede einzelne der mehr als 50 kleinen Vignetten jeweils seitengroß und in bis zu ca. 20-facher Vergrößerung abgebildet ist. So begegnen wir nicht nur dem Urbuddha Vajrahara und den Lehrern und Übersetzern buddhistischer Texte des 10. bis 12. Jahrhunderts Tilopa, Marpa, Naropa, Gampopa und Milarepa, den Wächterkönigen der 4 Himmelsrichtungen Virudhaka, Dhrtavastra, Virupakra und Vaisravana, deren Schutzfunktion durch rüstungsartige Uniformen visualisiert wird und, jeweils in der tantrischen Darstellung in der Vereinigung mit der Gefährtin, den fünf Tathagatas in ihren typischen Farben, Ratnasambhava in gelb, Vairocana in weiß, Akshobhya in blau, Amithaba in rot und Amogasiddhi in grün, jeweils umgeben von sechs Bodhisattvas.
Es ist hier nicht der Platz, alle transzendenten Erscheinungsformen des Tashipel im einzelnen zu erwähnen, etwa als Avalokiteshvara oder als Dakini Vajravarahi und die ihm offensichtlich aufgrund ihrer Platzierung im Thangka nahestehenden Lehrer, der indische Gelehrte Atisa und sein Schüler Dromton. Festzuhalten ist jedoch, dass das Buch über die Herrlichkeit und Pracht von Taklung und über seinen charismatischen Gründer Taschipel durch Text und Bild einen tiefen und nachhaltigen Eindruck der buddhistischen Kunst des Himalaya vermittelt.
(Information/Bestellung: iwona@tenzingasianart.com)