Autor/en: Huo-mei Sung
Verlag: Yale University Press
Erschienen: New Haven und London 2009
Seiten: XVI 272
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 45.– englische Pfund
ISBN: 978-030014152-8
Kommentar: Michael Buddeberg, September 2009
Besprechung:
„Alle Malereien des Ostens sind sinnbildlich gemeint, und ihre charakteristischen Themen wie Felsen, Gewässer, Wolken, Tiere, Bäume, Gräser sagen nicht nur sich selber, sondern noch ein weiteres aus: sie bedeuten etwas. Es gibt im Osten schlechthin kein Ding der gesamten Natur, der belebten und unbelebten, ja nahezu auch kein Artefakt, das nicht zugleich Symbolwert hätte, sofern es sich darstellen und in dem einen oder anderen Sinne deuten lässt.“ Dies ist in einem Essay von Emil Preetorius „Malerei als Schreibkunst“ zu lesen, der in dem 1958 erschienenen Katalog der Sammlung Preetorius veröffentlicht ist. Und Preetorius fügt hinzu, dass „Bildzeichen und Schriftzeichen sich berühren in Form und Gehalt, dass sie nicht selten einander durchdringen.“ Weil das so ist, drängt sich die Frage auf: Was war zuerst, das Bild oder die Schrift? Hat sich die chinesische Schrift aus Bildern entwickelt oder folgt der Symbolgehalt der Bilder dem der Schrift, ist doch jedes chinesische Schriftzeichen ein Symbol und nicht, wie bei uns, lediglich die Andeutung eines Lautes. Fest steht jedenfalls, dass die Chinesen Augenmenschen und es gewohnt sind, weit mehr als die Menschen des Westens, Zeichen und Bilder auch als Symbole zu lesen und zu erfassen, was nicht auf den ersten Blick erkannt werden kann. So ist eine Anleitung zum Lesen der Symbolsprache chinesischer Malerei ein wichtiger Weg zum Verständnis chinesischer Kunst. Das ist nun keineswegs neu, hat doch schon der Sinologe Ferdinand Lessing 1934 in der Zeitschrift Sinica einen umfassenden Aufsatz über die Symbolsprache in der chinesischen Kunst veröffentlicht. Dass also der Kranich für die Langlebigkeit steht, die Taube für die Treue und die Wildgans für Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, kann man doch nach ihren jährlichen Zügen in den Süden und dann wieder nach Norden fast die Uhr stellen, und dass ein Bildgeschenk mit einem Kranich den Wunsch nach einem langen Leben des Beschenkten zum Ausdruck bringt, ist hinreichend bekannt. Neu und überaus spannend ist indes, dass bestimmte Tiere in der chinesischen Malerei zu gewissen Zeiten auch Träger komplexer sozialer und politischer Botschaften waren, die zu lesen freilich schwierig ist. Hou-mei Sung fand im Rahmen eines Forschungsprojektes über die höfische Malerei der frühen und mittleren Ming-Dynastie heraus, dass bestímmte Tiere eine weit überproportionale Rolle spielen und ging der Sache auf den Grund. Zwei Jahrzehnte Forschung und die Untersuchung nicht nur aller in Ost und West erreichbaren Tierdarstellungen der chinesischen Malerei, sondern auch der Quellen in chinesischer Literatur und Posie ließen Hou-mei Sung die versteckten Botschaften entschlüsseln, die nun in dem Buch „Decoded Messages“ veröffentlicht sind. In zehn in sich abgeschlossenen Kapiteln, werden einzelne, symbolträchtige Tiere, das sind Adler und Falke, Kranich, Wildgans, Fasan, Taube, Phönix, Drache, Tiger, Pferd und Fisch und ihre, auch immer wieder wechselnden symbolischen Inhalte in den Dynastien der Tang, Song, Yuan und Ming behandelt. Betrachtet man sie alle zusammen ist das Buch nicht nur ein einzigartiges Kompendium zur die Schönheit chinesischer Tierdarstellungen während der Blütezeiten chinesischer Malerei, sondern auch ein überaus spannender Gang durch die Geschichte Chinas mit ihren spezifischen gesellschaftlichen, sozialen und politischen Problemen. Nehmen wir das Beispiel Adler: Seine Majestät und Stärke machen ihn zum König der Vögel und stets symbolisiert er die Macht des Kaisers. Allein in der prosperierenden, weltoffenen und dem Leben zugewandten Gesellschaft der Tang-Dynastie (618-907) wird aus dem Adler ein Falke, aus dem gefährlichen Räuber der Jagdgehilfe einer lebenslustigen Aristokratie, wie wir aus Wandbildern und tang-typischer Grabkeramik wissen. Der Falke als kaiserliches Haustier relativiert die Unnahbarkeit des Himmelssohnes und symbolisiert die Durchlässigkeit der Gesellschaft jener Zeit. Nach dem Kollaps der Tangdynastie wandelt sich das Bild. Unter der Dynastie der Song (960-1279) dominiert eine philosophische Sicht der Natur. Malerei und Poesie rücken zusammen, das realistische Abbild wird lyrisch überhöht, und die Landschaftsmalerei erreicht ihre absolute Blüte. Der Adler wird wieder in seinem natürlichen Lebensraum gezeigt, majestätisch auf einem Baum oder Felsen thronend oder im pfeilschnellen Sturzflug auf der Jagd nach Kaninchen, Taube und Fasan. Tiermotive, auch das des Adlers, werden nicht allein aus ästhetischen Gründen, sondern als intellektuelle Symbole gewählt; der Adler als Symbol von Macht und Stärke des Kaisers ist bei aller Naturnähe unverkennbar. Es folgt die Zeit fremder Machthaber; die mongolische Dynastie der Yuan (1279-1368) herrscht über China, und vor allem die intellektuelle Elite, Literaten, Poeten und Maler ziehen sich zurück, suchen die Einsamkeit und gehen in die innere Immigration. Die drohende Pose des Adlers wird zum Ausdruck der Resistenz chinesischer Maler gegen die verhasste Fremdherrschaft. Das Bild einer Drossel, der es gelingt, dem Angriff des barbarischen Adlers zu entkommen enthält die politische Botschaft, dass die chinesische Literatenkultur auch diese Schreckenzeit überdauern wird. Mit der Rückkehr der Han an die Macht gewinnt der Adler seine positive Bedeutung als Herrscher und mutiger Held zurück. Während der Ming-Dynastie (1368-1644) werden Maler mehr und mehr in das höfische Leben eingebunden und die soziale und politische Aussage ihrer Bilder wird komplexer. Das Bild vom Adlerpaar über einer Schar schnäbelnder Elstern steht für den Kaiser, die Kaiserin und ihre unentbehrlichen Berater. Die Hierarchie in der menschlichen Gesellschaft findet ihre Entsprechung im Tierreich. In einem späteren Rollbild erscheinen am Bildrand zwei freche Spatzen, zu denen das Adlerpaar aufschaut. Die Elstern sind verstummt. Es ist eine Kritik an den korrupten Zuständen am Hofe und dem zunehmenden Einfluss von Eunuchen zu Lasten des Sachverstands der Beamten, eine ebenso korrekte wie gefährliche Botschaft des Malers. Die Plausibilität solcher Botschaften wird dadurch unterstrichen, dass diese Symbolsprache nicht das Zufallsprodukt eines Malers, sondern Allgemeingut ganzer Malergenerationen ist. Die Metapher vom Adler und den Elstern etwa wird von den drei führenden Malern der Ming-Dynastie, von Bian Wenjing (1356.-1428), Lin Liang (ca. 1430-1490) und Lü Ji (1420-1504) gleichermaßen und immer wieder gebraucht. Die Entschlüsselung der versteckten Botschaften nicht nur der Adler, sondern auch von Fasanen, Drachen, Fischen und anderen Tieren in der chinesischen Malerei ist ein ungemein spannendes und durch die große Zahl zum Vergleich gestellter Bilder glänzend präsentiertes Thema. Die Ausstellung zum Buch findet vom 09.10.2009 bis zum 03.01.2010 im Cincinnati Art Museum statt und ist mit 83 Exponaten aus den wichtigsten amerikanischen und chinesischen Museen großartig bestückt.