Autor/en: Esther Schlicht, Max Hollein (Hrsg)
Verlag: Hirmer Verlag
Erschienen: München 2009
Seiten: 200
Ausgabe: Klappenbroschur
Preis: € 27.50
ISBN: 978-3-7774-2231-2
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2009
Besprechung:
Vor einigen Jahren entbrannte in China eine urheberrechtliche Auseinandersetzung um ein im unmittelbaren Vorfeld der chinesischen Kulturrevolution geschaffenes Kunstwerk. Abwechselnd beanspruchten die Kunstakademie Sichuan und das Museum des Anwesens der Familie Liu in Dayi ein kollektives Urheberrecht um es gegen eine auf der Biennale von Venedig 1999 gezeigte und mit einem Goldenen Löwen prämierte Kopie des chinesischen Künstlers Cai Guo-Qiang durchzusetzen. Ganz nebenbei wurden damals – zum ersten Mal und 35 Jahre nach der Herstellung dieses Kunstwerkes – auch die Namen der Künstler dieses von einem anonymen Kollektiv geschaffenen Werks bekannt. Dies alles war ein Symptom für den Wandel Chinas im Umgang mit seiner Kunst. Anfang der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts war das ganz anders. Aufgrund einer Verfügung des Kultusministeriums in Peking hatte jeder Landkreis ein Museum einzurichten, das an die Ausbeutung der Bevölkerung durch die herrschende Klasse vor der Befreiung durch die Kommunistische Partei zu erinnern habe. Es war eine fast ausschließlich pädagogische Zielsetzung, die mit Kunst nur so viel im Sinn hatte, als gemäß einem Manifest Maos aus dem Jahre 1942 Kunst der Politik zu dienen habe. Die Provinz Sichuan entschied sich als Ort für eine solche Gedenkstätte für den Hof des Großgrundbesitzers Liu Wencai, eines zur Zeit der chinesischen Republik reich gewordenen Emporkömmlings, der von der Kommunistischen Partei zum archetypischen Erzbösewicht der überwundenen Feudalgesellschaft stilisiert worden war. Ein namentlich nicht genanntes Kollektiv von Lehrern und Schülern machte sich an die Arbeit und schuf in engem Kontakt mit der bäuerlichen Bevölkerung und unter Anwendung sozialistisch kollektiver Praktiken in traditioneller Trockenlehmtechnik sieben narrative Szenen mit 114 lebensgroßen Figuren. „Der Hof der Pachteinnahme“ wurde zur Sensation. Hunderttausende und, später in Peking, Millionen, sahen das Kunstwerk und wurden durch die Darstellung von Leid, Verzweiflung, ohnmächtiger Wut und Resignation in den Gesichtern der Bauern angerührt. Der westlichen Kunstgeschichtsschreibung blieb das nicht unbekannt, doch wurde das Werk mit dem Etikett des Sozialistischen Realismus oder, schlimmer noch, mit dem der Propagandakunst der Kulturrevolution stigmatisiert und – mit Ausnahme einiger Kenner wie etwa dem Maler und Kunsterzieher Reiner Kallhardt und Harald Szeemann (vormals Direktor der Kunsthalle Bern) – nicht weiter zur Kenntnis genommen. Mit dem Fortschreiten der Kulturrevolution passte das Werk schließlich auch nicht mehr in das ideologische Umfeld Chinas, verfälschende Kopien entstanden und ohne das beherzte Eingreifen eines der an der Schöpfung beteiligten Kunstprofessors wäre auch das Original der Zerstörung preisgegeben worden. Dieses ist noch heute als Touristenattraktion im Kreis Dayi in dem Dorf Amren zu sehen und – eine kleine Sensation in der Kunstwelt – eine in den Jahren 1974 bis 1978 aus verkupfertem Fiberglas geschaffene Kopie kann bis zum 3. Januar 2010 erstmals im Westen in der Frankfurter Schirn bewundert werden. Zu sehen ist ein in der Geschichte der chinesischen Kunst einzigartiges Denkmal, in dem sich traditionelle chinesische Skulpturentradition mit Stilelementen der klassischen europäischen Bildhauerkunst und der Formensprache des Sozialistischen Realismus zu einem zeitlosen Kunstwerk verbinden. Es ist erstaunlich, dass der enge, von Mao vorgegebene, ideologisch-kunsttheoretische Rahmen, den die Künstler uneingeschränkt bejahten, ein solches allgemein gültiges Kunstwerk hervorbringen konnte. Christof Büttner, der in dem Katalog eingehend die Geschichte der Entstehung, Akzeptanz und vorübergehende Vergessenheit des „Pachthofes“ beschreibt, gibt dafür die Erklärung: Eine Gruppe junger Bildhauer fand im richtigen Moment die richtige künstlerische Antwort auf eine politische Aufgabenstellung. Sie machten ein Angebot, wie eine den spezifisch historischen, politisch-ideologischen, sozialen und künstlerischen Verhältnissen der jungen Volksrepublik China entsprechende, zeitgenössische Kunst aussehen könnte und sie taten dies aus eigener Kraft und ohne die Möglichkeit, sich auf aktuelle Kunstentwicklungen außerhalb Chinas beziehen oder stützen zu können. In ihrem Werk verbanden sie fünf Elemente, die zuvor nur wenig Berührung hatten: Die buddhistisch-säkulare Steinbildhauerei der Song-Dynastie, präsent im Höhlentempel im nahe gelegenen Dazu, die volkskünstlerische Technik der Trockenlehmplastik, die Formsprachen der klassischen europäischen und der sowjetischen sozialistisch-realistischen Bildhauerei und die Beobachtung der Menschen, der Dorfbewohner von Amren. So gelang es den Künstlern um Wang Guanyi und Zhao Shutong der Gattung Bildhauerei eine in der chinesischen Kunstgeschichte bis dahin unerreichte Akzeptanz und eine der Malerei gleichwertige Stellung zu verschaffen. Der „Hof der Pachteinnahme“ wurde so zu einem der wirkmächtigsten Kunstwerke der zeitgenössischen chinesischen Kunst und zugleich zu einem Werk der Weltkunst. Der Katalog zeigt nicht nur eindrucksvolle Aufnahmen der Figurengruppen und einzelner Skulpturen, sondern enthält neben dem bereits erwähnten begleitenden Text von Christoph Büttner Essays von Martina Köppel-Yang und Esther Schlicht über die Wirkung und Rezeption nicht nur des „Hofes der Pachteinnahme“ sondern ganz allgemein chinesischer kulturrevolutionärer Kunst und Propaganda im Westen. Feng Bin, Direktor des ausleihenden Kunstmuseums der Kunstakademie Sichuan, beschreibt schließlich in seinem Geleitwort, wie es zu der zwischen 1974 und 1978 gefertigten und nun in Frankfurt gezeigten Reisekopie der Skulpturengruppe aus verkupfertem Fiberglas kam und wie das damals beauftragte Künstlerteam um eine Vervollkommnung, um ein höheres künstlerisches Niveau und um eine Verbesserung des ursprünglichen Stils bemüht war, ganz in der Tradition des chinesischen Kunsthandwerks und Gewerbes, das im Kopieren eine Tugend sieht, womit sich mit einem Hinweis auf die urheberrechtliche Problematik solchen Tuns der Kreis schließt (eine weitere Kopie in Bronzeguß ist dem Vernehmen nach geplant).