Autor/en: Przychowski, Alexandra; Beltz, Johannes (Hrsg-)
Verlag: Hirmer Verlag
Erschienen: München 2025
Seiten: 160
Buchart: Softcover
Preis: € 24,90
ISBN: 978-3-7774-4593-9
Kommentar: Michael Buddeberg
Zu jeder vollen Stunde erklingt vom Turm der Marienkirche in Krakau in jede Himmelsrichtung ein Trompetensignal, das unvermittelt abbricht. Der Legende zufolge hatte der Stadtwächter im Jahre 1241 den Angriff eines Tartarenheeres entdeckt und wurde noch während seines Warnrufes von einem mongolischen Pfeil getroffen. Die Furcht vor den unbesiegbaren Reiterhorden, die wie ein Sturmwind an den europäischen Ostgrenzen auftauchten und rasch wieder in den Weiten der zentralasiatischen Steppen untertauchten ist seither eine Art europäisches Trauma, für den das hör- und sichtbare Ritual in Krakau Symptom ist. Schon eineinhalb Jahrtausende früher hatte China ein ganz ähnliches Problem. Seit der frühen Han-Dynastie im zweiten vorchristlichen Jahrhundert litt das prosperierende China unter den Überfällen und Beutezügen nomadischer Reiterkrieger. Weder das Militär noch der Bau von Grenzmauern konnten das Problem dauerhaft lösen. Auch diplomatische Versuche und mit teuren Tributen erkaufte Friedensvereinbarungen konnten nicht verhindern, dass in den an China angrenzenden zentralasiatischen Regionen große und mächtige Steppenreiche zur dauerhaften Gefahr wurden.
Diesen Steppenreichen, ihrer Entstehung, Abfolge und Wirkmacht ist unter dem Titel „Mongolei – Eine Reise durch die Zeit“ eine Ausstellung im Züricher Museum Rietberg (bis zum 22. Februar 2026) und ein dazu erschienener Katalog gewidmet. Schwerpunkte sind hier neben der Vorstellung zeitgenössischer Kunst aus der Mongolei vorwiegend archäologische Funde aus den letzten Jahrzehnten. Diese in der Mongolei recht junge Wissenschaft, unterstützt durch deutsche archäologische Institutionen hat das aktuelle, idealisierende Mongolenbild von einem einfachen und anspruchslosen nomadischen Hirtenvolk um wesentliche Erkenntnisse bereichert. Bedeutende städtische Zentren, Handelsbeziehungen, materieller Reichtum und höfischer Luxus hinterließen Spuren. Mehr als 200 archäologische Objekte von einfachen Gebrauchsgegenständen aus Keramik, Holz und Eisen bis zu kostbarem Porzellan sowie Schmuck und Gefäßen aus Gold – fast alle aus dem erst 2022 eröffneten Chinggis Khaan National Museum in Ulaanbataar und noch niemals außerhalb der Mongolei ausgestellt – ergänzt durch einige Objekte aus europäischen Museen und Sammlungen, zeigen ein vielschichtiges Bild.
Der Gang durch die Geschichte beginnt mit wechselnden nomadischen Stammesverbänden zu Pferd, von den Chinesen der Han-Dynastie als Xiongnu bezeichnet, gefürchtet und nie wirklich besiegt. Es folgt ab etwa der Mitte des 6. Jahrhunderts in den nordasiatischen Steppen das Reich der Kök-Türken mit seiner grüßen Ausdehnung von Korea bis zum Schwarzen Meer. Die Quelle ihres wachsenden Reichtums sind nun weniger Beutezüge an den Grenzen Chinas, sondern Friedensverträge und militärische Allianzen, die sich die Türken teuer bezahlen ließen. Chinesische Quellen berichten von Wagenladungen an Luxusgütern wie Seide, Leinen, Gold, Jade und Wein, die an den türkischen Hof gebracht wurden. Noch enger wurden die gegenseitigen Beziehungen ab der Mitte des achten Jahrhunderts zwischen den uigurischen Khaganen und den chinesischen Nachbarn. Es war vor allem der chronische chinesische Mangel an Pferden der den Handelsverkehr mit den Uiguren prägte und die chinesischen Kassen leerte. Ganze dreißig Ballen Seide für ein Pferd war die gängige Währung. Mit der etwa in der Mitte des achten Jahrhunderts gegründeten Stadt Karabalgasun entstand im Orchon-Tal die erste zentralasiatische Metropole, eine Tempel- und Palaststadt und ein Zentrum des Handels auf der Seidenstrasse. Die Entdeckung, Ausgrabung und Fundstücke eines tiefen Brunnens in Karabalgasun ist hier ein spannendes Beispiel moderner Archäologie.
Das von Dschingis Khan in kurzer Zeit errichtete größte je geschaffene zusammenhängende Weltreich der Weltgeschichte ist hinreichend bekannt. Die ebenfalls im Orchon-Tal belegene Hauptstadt Karakorum, ihre Weltoffenheit und ihr Reichtum ist durch Berichte europäischer Reisender aus dem Spätmittelalter überliefert. Auch hier gewinnen Archäologen neue Erkenntnisse. Ein Grabfund aus dem Jahre 2019, ein sehr fragmentarischer Deel, das klassische Gewand der Mongolen, mit fantastischen Drachendarstellungen auf der Brust und den Gewandsäumen ist hier ein Beispiel für den textilen Luxus der mongolischen Eliten und zugleich für die Vergänglichkeit textilen Materials. So gesehen ist die in Zürich ausgestellte Dalmatik des Kirchenschatzes von St. Nikolai in Stralsund aus panni tartarici, wie der Goldstoff genannt wurde,ein ebenso großartiges wie wichtiges Exponat, das nicht nur einen florierenden Handwerkszweig aus der Zeit des mongolischen Weltreichs und den verschwenderischen textilen Luxus am mongolischen Hof vorstellbar macht, sondern vor allem auch den spätmittelalterlichen Handel auf der Seidenstraße und den Bedarf europäischer weltlicher und geistlicher Fürsten bestens illustriert. Die gut erhaltene Dalmatik aus zentralasiatischem Lampas-Gewebe, goldglänzend durch sogenanntes Riemchengold, das sind schmale vergoldete Lederstreifen, die flach in das Gewebe eingeschossen sind, ist eines von etwa einem Dutzend vorwiegend in europäischen Kirchenschätzen erhaltenen Paramenten aus zentralasiatischen Goldstoffen des frühen 14. Jahrhunderts. Sie steht repräsentativ für Luxus und goldene Pracht am Hofe von Karakorum wie sie die wenigen europäischen Besucher im 13. und 14. Jahrhundert mit Erstaunen gesehen haben.

Mit dem Zerfall des mongolischen Weltreichs endet die Reise durch die Zeit. Ein abschließendes Kapitel beschäftigt sich mit der Entwicklung und den Problemen der zur Metropole gewachsenen Hauptstadt Ulaanbataar, in der mit mittlerweile ca. 1,5 Millionen Einwohnern fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung der Mongolei lebt. Die reiche buddhistische Kunst und Kultur der Mongolei vom 16. bis ins 20 Jahrhundert findet keine Erwähnung.

