Autor/en: Stefano Ionescu
Verlag: Stefano Ionescu, Verduci Editore
Erschienen: Rom 2024
Seiten: 336
Buchart: Hardcover
Preis: € 150,00
ISBN: 979-12-80331-17-5
Kommentar: Michael Buddeberg
Was wäre die Kunstgeschichte ohne Kirchenschätze? Was je an sakrale Institutionen geschenkt, gespendet oder von diesen Niederlassungen des Göttlichen auf Erden sonstwie erworben wurde, hat die Zeitläufte meist besser überstanden als jegliches Gut in weltlicher Hand. Welt- und Kaiserreiche vergingen, Residenzen und Paläste sanken in Schutt und Asche, Dynastien kamen und gingen, und mit ihnen wurden auch die Schätze, die einst von ihrer Macht und ihrem Reichtum zeugten, verbraucht, geplündert, vernichtet und in alle Welt verstreut. Gelangten sie aber in den Machtbereich der Kirchen, in die Schatzkammern der Dome, Münster, Kathedralen und Klöster wurden sie bewahrt, geschätzt und geschützt. Ganz besonders gilt dies für die vergänglichsten Werke des Kunsthandwerks, für Textilien. Die Geschichte der textilen Künste wäre ungleich ärmer, gäbe es nicht die europäischen Kirchenschätze mit ihrem reichen Bestand an Paramenten aller Art, Altartextilien, Reliquienhüllen und vielen anderen Objekten textiler Kirchenausstattung.
Wohl der erstaunlichste all dieser textilen Kirchenschätze ist der Bestand anatolischer Teppiche aus kommerziellen, dörflichen Produktionen des späten 15. bis frühen 18. Jahrhunderts in den Kirchen von Siebenbürgen, einer Region im Zentrum von Rumänien. Die eigentliche Sensation ist dabei nicht nur der Bestand als solcher, sondern vor allem die schiere Menge dieser schon aufgrund ihres hohen Alters seltenen Teppiche, der einst wohl mehr als 600 Exemplare umfasst haben mag. Dieser Schatz hat seit dem späten 19. Jahrhundert, als das Thema orientalischer Teppiche für Museen und Sammler relevant wurde, immer wieder Autoren, Wissenschaftler ebenso wie Autodidakten, auf den Plan gerufen, die einen kleinen Grundstock an Publikationen geschaffen haben. Stefano Ionescu, gebürtiger und in Rom lebender Rumäne, hat dann in den Jahren 2005 bis 2007 nach jahrelanger Forschungs- und Feldarbeit das in fünf Sprachen (italienisch, englisch, deutsch, ungarisch und rumänisch) erschienene Standardwerk „Die Osmanischen Teppiche in Siebenbürgen“ publiziert, das seither den Maßstab für wissenschaftliche Teppichbücher setzte. Nach weiteren 15 Jahren unermüdlicher Forschung, mit dem Suchen, Finden und der Auswertung weiterer Literatur aus Archiven, Registern, Inventaren, Testamenten, Aussteuerlisten und Korrespondenzen, mit weltweiten Recherchen in Museen und privaten Sammlungen hat Stefano Ionescu nun noch einmal nachgelegt und sich mit „The Transylvanjan Heritage – A New Perspective“ selbst übertroffen. Man könnte das Buch als erweiterte und wesentlich ergänzte Neuauflage bezeichnen, doch das wäre viel zu kurz gegriffen.
Die Geschichte der Siebenbürger Sachsen, die im 12. Jahrhundert aus der Rhein/Mosel-Region in das ungarische Königreich auswanderten um dessen östliche Grenze zu schützen, die Entwicklung der Region zu einem Zentrum des Fernhandels mit türkischen Waren nach Europa und der Aufstieg der Städte Kronstadt (Brasov) und Hermannstadt (Sibiu) zu bedeutenden und reichen Handelsplätzen wird detailreich und lebendig erzählt. Teppiche und Gewürze bildeten einen Schwerpunkt dieses Handels und nachweislich waren Teppiche auch Objekte von Prestige und Status für Adel und reiche Bürger ebenso wie für Stadtverwaltungen und für die mächtigen Handwerksgilden. Schon vor aber vor allem nach der Reformation mit ihren Bilderstürmen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden aus diesen religionstoleranten Kreisen Teppiche an Kirchen geschenkt, gestiftet und vermacht, dienten dort der Dekoration, wurden sorgfältig verwahrt und blieben dank der klimatischen Bedingungen im Kircheninneren weitgehend in dem Zustand, in dem sie dort Eingang fanden. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, mit der beginnenden Wertschätzung breiter Kreise für den Orientteppich, vor allem aber mit den Kriegen und politischen Umwälzungen des 20 Jahrhunderts begann der geschätzte Bestand von 600 Teppichen auf die heute gezählten ca. 400 Exemplare zu schrumpfen. Verkäufe für notwendige Kirchenreparaturen oder an interessierte Sammler waren noch die ehrenhaftesten Gründe für diesen Schwund, der meist unaufklärbar ist. Nur sehr wenige der heute in westlichen Museen und Sammlungen befindlichen „Siebenbürger“ konnten vom Autor zweifelsfrei bis zu ihren rumänischen Quellen zurückverfolgt werden.
Schwerpunkt des Buches ist das vollkommen neu gestaltete Katalogkapitel mit der Abbildung und der genauen Beschreibung von gut 500 Teppichen und deren systematische Kategorisierung nach ihren Mustern von Ghirlandaio, Holbein und von den weißgrundigen Teppichen aus Ushak und Selendi mit Vogel-, Skorpion- und Cintamani-Motiven über zahlreiche Lotto bis zu den großen Gruppen der Nischen- und Säulenteppiche. Vor allem in diesem Kapitel finden sich die angekündigten „neuen Perspektiven“, so etwa bei den Lotto-Teppichen, deren filigranes und über einen Zeitraum von ca. 200 Jahren nur wenig verändertes Muster Ionescu als rein abstrakt wertet und es aus der islamischen Illumination timuridischer Manuskripte herleitet. Auch die oft apostrophierte Verwandtschaft zwischen den Doppelnischenteppichen aus Ushak und aus Siebenbürgen wird von Ionescu mit einer ganzen Handvoll Begründungen vehement verneint. Dass die Datierungen ebenso wie die Zuordnung zu den Knüpfregionen, überwiegend im westlichen Anatolien, präzisiert wurden, sei am Rande erwähnt.
Hinzu kommen in Ergänzung des Katalogteils weitere ca. 150 ebenfalls in Bild und Text vorgestellte Teppiche aus privaten Sammlungen, aus dem Handel und aus Museen von knapp 30 Ländern in drei Erdteilen, insgesamt also ein mehr als repräsentativer Querschnitt durch die ca. 1650 von Stefano Ionescu bisher archivmäßig dokumentierten Teppiche zu dem von ihm weit gefassten Begriff „Siebenbürger Teppiche“.
Das Kapitel über die Standorte der Siebenbürger Sammlungen, drei Museen, darunter das Nationalmuseum in Bukarest, und 19 Kirchen, vervollständigt den Bericht. Von all diesen Standorten ist die Schwarze Kirche in Kronstadt, so genannt nach den noch immer sichtbaren Spuren des verheerenden Brandes im Jahre 1689, dem gewiss auch viele frühe Teppiche zum Opfer fielen, der spektakulärste. Weit über einhundert „Siebenbürger“, davon ca. sechzig ständig im Kirchenraum an Wänden, Emporen und am Chorgestühl präsentiert, zählt der Bestand. Er macht diese weltweit zahlenmäßig größte Sammlung anatolisch-siebenbürgerischer Teppiche zu einem Mekka für den Teppichfreund. Den zweitgrößten Bestand besaß – muss man aus heutiger Sicht sagen – die Kirche in Bistritz. Als sich im Sommer 1944 die sowjetische Front dem Ort näherte wurden die 55 Teppiche unter dem Schutz der Deutschen Wehrmacht evakuiert und fanden schließlich 1952 Verwahrung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, wo sie sich bis heute befinden. Es ist der Initiative von Stefano Ionescu zu danken, dass inzwischen 25, originalgetreu und Knoten für Knoten nachgeknüpfte Repliken der Kirchengemeinde Bistritz gespendet wurden und den nüchternen Kirchenraum wie einst wieder beleben.
(zu beziehen, € 150,00 zzgl. Versandkosten, über info@transylvanianrugs.com oder stefano_ionescu@yahoo.it).