Autor/en:
Verlag: Orientations Magazine Ltd
Erschienen: Hong Kong 1998
Seiten: 287
Ausgabe: Broschiert
Preis: US-$ 60
Kommentar: Michael Buddeberg, November 1998
Besprechung:
Dem Liebhaber der Kunst Asiens braucht man Orientations nicht vorzustellen. Monat für Monat erscheinen in diesem schönen und renommierten Magazin Beiträge namhafter Autoren zu allen Bereichen der Kunst des Orients. Der Rahmen ist damit äußerst weit gesteckt: Von Anatolien bis Japan und von Turkestan bis Bali finden wir alles, was schön, alt und sammelnswert ist: Skulptur, Malerei, Ausgrabungen, Textilien, Kunsthandwerk. Doch bei aller Qualität und Bedeutung haben solche Magazine einen Nachteil: Was in ihnen publiziert wurde, wird rasch vergessen und sei es nur deshalb, weil die Beiträge schwer wieder auffindbar sind. Da stehen oder liegen dutzende dieser Magazine im Regal und irgendwo versteckt sich dieser wichtige Beitrag über die Wandmalerei in Alchi, den man vor Jahren mal gelesen hat und das große Blättern beginnt. So ist es eine großartige Idee der Herausgeberin von Orientations, Elizabeth Knight, Themenbände zu wichtigen Gebieten zusammenzustellen, um damit diese fast verlorenen Beiträge wieder nutzbar zu machen. Nach einem ersten Themenband über chinesische Textilien liegt nunmehr Art of Tibet vor, ein Sammelband mit knapp drei Dutzend Beiträgen zu tibetischer Kunst aus den Jahren 1981 bis 1997. Die internationale Creme der neueren Tibetologie kommt hier zu Wort. Wir finden Aufsätze von lan Alsop, Michael Henss, Amy Heller, Thomas Pritzker, Valrae Reynolds, Jane Casey Singer und Deborah Klimburg-Salter, um nur diejenigen zu erwähnen, die mit mehr als einem Beitrag vertreten sind. Im Vordergrund stehen Untersuchungen zu tibetischer Malerei, Thangkas aber auch Wandmalerei, manches davon Erstpublikationen bedeutender Entdeckungen des letzten Jahrzehnts, etwa die Malereien in den Höhlentempeln von Dunkar und Piyang in schwer zugänglichen Seitentälern des Satletsch im fernen Westen Tibets (Thomas Pritzker) oder die Wandmalereien aus dem frühen 14. Jahrhundert in der in einem Seitental der Kaligandaki Flusses in Mustang versteckt gelegenen Lori Gompa (Helmut Neumann). Es folgen Beiträge über tibetische Skulpturen, über tibetische Manuskripte und Dokumente, über Arbeiten aus Holz und Stein und – last but not least – über tibetische Architektur. Es ist schließlich ein reine Freude, den schon 1981 erschienenen Aufsatz von Valrae Reynolds über die berühmte Textilsammlung des Newark Museums zu lesen. Die tibetischen Kostüme, von der Chupa eines Nomaden über die Festtagstrachten tibetischer Adeliger bis zu den phantasievollen Kostümen der Cham-Tänzer, lassen ein farbiges Bild des alten, vergangenen Tibet auferstehen. Aber auch das Heute mit den gravierenden aktuellen Problemen kommt zu Wort. Im gleichen Maße wie in dem von der chinesischen Regierung wieder zugänglich gemachten Tibet die Reste einer zerstörten Kultur entdeckt oder wiederentdeckt werden, geht auch die Zerstörung weiter. Für viele weitere mag hier der Beitrag von Heather Stoddard über das Schicksal früher Wandmalerei im Jokhang-Tempel zu Lhasa stehen: Unstreitig das Herz der tibetisch buddhistischen Welt ist es ein Wunder, daß dieses im Kern auf die Zeit seiner Gründung (647 unter König Songtsen Gampo) zurückgehende Bauwerk, wenn auch zweckentfremdet als Schweinestall und Schlachthof und mit schweren Schäden, die Kulturrevolution überstanden hat. Dieser älteste aus Holz errichtete Tempel der Welt ist heute auch in China ein unter gesetzlichem Schutz stehendes „number one cultural relict“. Das schon, was aber dort unter der Bezeichnung „Restaurierung“ in den vergangenen Jahren geschehen ist, ist ein kultureller Skandal allerersten Ranges. Wandmalereien aus dem 11. und 12. Jahrhundert, beispiellose Zeugnisse früher buddhistischer Malerei in Tibet, wurden, wenn sie nicht überhaupt abgeschlagen sind, von Schreinern (!) bis zur Unkenntlichkeit „gereinigt“ und unter Zerstörung wertvoller Inschriften zugegipst. Elektrische Leitungen wurden auf Türstöcke aus dem 7. Jahrhundert genagelt, über tausend Jahre alte Holzstrukturen entfernt oder mit Acrylfarben zugekleistert. Und all diese „Restaurierung“ geschah ohne eine Spur von wissenschaftlicher Begleitung oder Dokumentation. Lhasa und der Jokhang-Tempel, so schließt der Beitrag von H.Stoddard, ist eine der heiligen Stätten der Menschheit, die in einem Atemzug mit Mecca, Jerusalem, Rom oder Benares genannt werden muß, und es ist zur Erhaltung der Substanz dringend notwendig, diese Stätte unter wirkungsvollen internationalen Schutz zu stellen. Dies wurde 1994 geschrieben und was ist in der Zwischenzeit geschehen? Es ist zu hoffen, daß die Wiederveröffentlichung dieses und zahlreicher anderer wichtiger Beiträge im Sammelband Art of Tibet die Gefährdung der Kunst Tibets einmal mehr in das Bewußtsein der Öffentlichkeit bringt.