Bhutan – Festung der Götter

Autor/en: Christian Schicklgruber, Francoise Pommaret (Hrsg)
Verlag: Serindia Publications (Verlagsausgabe)
Erschienen: London 1997
Seiten: 276
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: DM 98.–
ISBN: 0-906026-45-8
Kommentar: Michael Buddeberg, Februar 1997

Besprechung:
Die grandiose Bhutan-Schau, die größte und umfangreichste je im Westen gezeigte Ausstellung über Kunst und Kultur dieses kleinen Himalaya-Königreiches mit vielen noch nie im Westen gesehenen Exponaten aus bhutanischen Klöstern und Museen, nach Wien und Basel auch in anderen europäischen Städten zu sehen, wird ein breiteres Interesse auf dieses wenig bekannte Land fokussieren. In der unbedingt empfehlenswerten Ausstellung dominieren selbstverständlich Kunst und Kunsthandwerk. Das begleitende Buch vertieft diesen Blick und behandelt in fundierten Beiträgen bhutanischer und westlicher Fachleute alle Aspekte eines vom Buddhismus geprägten Staatswesens auf dem Weg in die moderne Völkergemeinschaft. Nachdem Ladakh, Sikkim und Mustang in fremde Staaten eingegliedert wurden und nachdem Tibet 1959 von China gewaltsam „befreit“ wurde, ist Bhutan der letzte Staat dieser Erde, in dem die Grundprinzipien des Mahayana-Buddhidmus, Harmonie und Mitgefühl, Grundlage allen privaten und öffentlichen Handelns sind oder sein sollen. Zunächst aber erschließen die Beiträge und Bilder ein landschaftliches Juwel, eine ökologische Schatzkammer mit einer sonst kaum noch anzutreffenden Vielfalt an Flora und Fauna und Landschaften zwischen 150 und knapp 8000 Meter Seehöhe. Diese paradiesisch erscheinende Szene ist von Menschen verschiedenster Ethnien belebt und wohl kaum sonstwo findet man auf engstem Raum so viele verschiedene Sprachen wie in Bhutan. Jedes Tal, auch heute noch oft nur zu Fuß erreichbar, ja sogar die unterschiedlichen Höhenlagen eines einzigen Tales werden von verschiedenen Stämmen in optimaler Anpassung an die natürliche Umwelt bewirtschaftet. Eine einfühlsame Studie von Martin Brauen erschließt das traditionelle Leben in einem Dorf „irgendwo in Bhutan“, in einer archaischen, ganz von Frauen geprägten Gesellschaft. Dieses Matrimoniat, auch ein Erbe der alten tibetischen Gesellschaft, beschränkt sich aber auf den dörflichen Bereich. An den Hebeln der überregionalen Macht, im Kloster und im Staatswesen, dominieren auch in Bhutan die Männer. Damit sind wir bei den Klosterburgen, den Festungsbauten Bhutans, die dem Buch den Namen gaben, Zeugnisse einer eindrucksvollen Architektur. Dieser eigenständige bhutanische Baustil geht auf den Gründer Bhutans, den Shabdrung Ngawang Namgyel selbst zurück, der mit diesen Burgen im 17. Jahrhundert Bhutan eine eigene kulturelle Identität verschaffte und sich so von Tibet abgrenzte. Diese Klosterburgen stehen für das duale Herrschaftssystem aus geistlicher und weltlicher Macht, sind Symbol für den Kampf gegen äußere und innere Feinde. Die bhutanische Architektur, die im wahrsten Sinne des Wortes Sakrales und Profanes unter einem Dach verbindet, wurde auch auf die traditionelle Dorfarchitektur Bhutans übertragen und per Gesetz über 300 Jahre nach dem Tod des Shabdrung für urbane Neubauten zwingend vorgeschrieben. Neben der Architektur stehen die „dreizehn traditionellen Handwerkskünste“, von denen ich hier als herausragend die Malerei, den Metallguß, die Goldschmiedekunst und die Webkunst erwähnen möchte, die in Buch und Ausstellung durch herausragende Objekte, zum Teil aus den Schatzkammern bhutanischer Klöster und Museen, dokumentiert sind. Insbesondere die bhutanischen Textilien, meisterhafte Webarbeiten mit kunstvoller und komplizierter Mustergestaltung mit zusätzlichem Schußfaden sind eine eigenständige Kunstform mit großer Tradition und lebendig bis heute denn das Tragen der traditionellen Tracht ist im öffentlichen Leben Bhutans gesetzlich vorgeschrieben. Alles in Bhutan, die Vielfalt der Natur, die Menschen, die Architektur, Kunst und Handwerk sind geprägt vom bhutanischen Buddhismus, von dem aus Tibet übernommenen Mahayana-Buddhismus und aus der Integration animistischer und schamanistischer vorbuddhistischer Vorstellungen und Praktiken. Für die bäuerliche Bevölkerung Bhutans, und das ist auch heute noch der größte Teil, ist der Schutz der Berggötter die wichtigste ideelle Grundlage im täglichen Leben. Sie wirken nicht nur in der Beziehung der Menschen zu ihrer Umwelt, sondern auch im Leben zwischen den Menschen. Sie wachen über die Einhaltung der Normen der sozialen Ordnung genauso, wie sie politische Macht legitimieren. Zugang zu politischer Macht haben meist die, die auch eine besondere Beziehung zu den Gottheiten haben. Diese Durchdringung des Lebens mit spirituellem Gedankengut hat nicht verhindert, daß Bhutan nach dem Tod des ersten Shabrung von blutigen Bürgerkriegen heimgesucht wurde und daß auch die heute herrschende Dynastie der Wangchuck auf sehr menschliche Art und Weise an die Macht kam. Heute liegt es in der Hand des vierten Königs der Wangchuk-Dynastie, Jigme Sangye Wangchuk, einen Weg in die Zukunft zu finden. In seinem Geleitwort betont er die aus dem Mahayana-Buddhismus heraus entstandene reiche, eigenständige Kultur Bhutans und die Einsicht, daß in einer Zeit des raschen Wandels die Erhaltung und Förderung der Kultur eine notwendige Ergänzung der wirtschaftlichen Entwicklung darstellen. Christian Schicklgruber, Mitherausgeber dieses Buches, zeigt in seiner einfühlsamen Einleitung sowohl die Schwierigkeiten wie auch die Möglichkeiten eines Weges Bhutans in die Moderne auf und warnt davor, die dafür notwendigen Entscheidungen und Schritte mit den Maßstäben unserer Kultur zu beurteilen. Mögen Toleranz und Mitgefühl als Grundlage allen Tuns in Bhutan die „Festung der Götter“ auch weiterhin beschützen.