Tibetan Painting – The Jucker Collection

Autor/en: Hugo J. Kreijger
Verlag: Serindia Publications
Erschienen: London 2001
Seiten: 190
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
ISBN: 0-906026-56-3
Kommentar: Michael Buddeberg, Mai 2001

Besprechung:
1961 fand in Indien ein großer Wissenschafskongreß statt, an dem der Schweizer Chemie-Wissenschaftler Mischka Jucker teilnahm. Es war die Zeit, als erstmals in größerem Umfang tibetische Objekte auf dem indischen Kunstmarkt auftauchten, denn kurz zuvor, 1959, hatte der Exodus des tibetischen Volkes begonnen. Adelige, Grundbesitzer, Intellektuelle, Lamas und andere hohe religiöse Würdenträger führten in ihrem Fluchtgepäck auch Thankas mit sich, zusammenrollbare und leicht transportierbare Gegenstände einer religiösen Tradition, deren andere im Lande verbliebenen, materielle Zeugnisse in den folgenden Jahrzehnten einer barbarischen Zerstörung anheimfallen sollten. Die Not des Exils zwang Viele zum Verkauf dieser Kunstwerke. Juckers Begegnung mit diesen Thankas führte zu etwas, was er heute als einen unverzichtbaren Teil seines Lebens bezeichnet, und zu einer bedeutenden Sammlung. Die einhundert schönsten und bedeutendsten Thankas aus der etwa 250 Bilder umfassenden Kollektion werden mit einem Vorwort des Sammlers, mit einer Einführung von Hugo E. Kreijger und ausführlichen Bildlegenden aus seiner Feder in diesem schönen Band – zumeist erstmalig – veröffentlicht. Das Buch ist mit seinen ausgesprochen qualitätvollen Thankas aus der Zeit des späten 12. bis zum frühen 20. Jahrhundert eine wertvolle Bereicherung des wachsenden Korpus von Literatur zur tibetischen Malerei, ein wichtiger Beitrag zum Studium und Verständnis der Heiligen Kunst Tibets. Besonders lesenswert ist der einführende Essay: Er enthält nicht nur eine komprimierte Geschichte Tibets vom ersten historischen König Songtsen Gampo im 7. Jahrhundert bis zur Verleihung des Friedensnobelpreises an Seine Heiligkeit den 14. Dalai Lama im Jahre 1989, sondern vor allem einen nachdenklichen und ungewöhnlichen Beitrag zur Religion Tibets. „Die wahre Natur des tibetischen Buddhismus ist alles andere als klar,“ steht am Anfang der Überlegungen, und Kreijger untersucht in der Folge die Spuren der alten Bön-Religion im tibetisch-buddhistischen Pantheon. Es sind nicht viele, meint er, denn die aus dem legendären westtibetischen Königreich Shangshung stammende Bön-Religion war – auch wenn das die Anhänger des Bön selbstverständlich ganz anders sehen – vielleicht nur eine frühe und unorthodoxe Form des Buddhismus. Weit mehr Spuren haben vermutlich viel ältere, eingeborene schamanistische und animistische Vorstellungen hinterlassen, die aus der tibetischen Götter- und Glaubenswelt diese einzigartige Symbiose aus Natur- und Hochreligion machen. „Sicher ist,“ so schließt Kreijger, „daß alles viel komplexer und zusammenhängender ist, als bisher angenommen.“ Angelehnt sind diese Überlegungen an die Ikonographie der gezeigten Thankas. Der Reigen beginnt mit Buddha Shakyamuni, mit Bildern aus seinem Leben und mit den vielfältigen Erscheinungsformen Buddhas, den fünf Transzendenten Buddhas vor allem. Es folgen die Bodhisattvas, Tara etwa oder Avalokiteshvara in unterschiedlicher Gestalt. Der große Magier Padmasambhava ist dann der erste einer Reihe von Heiligen, Arhats, Religionsstiftern und historischen Personen, bevor wir zum Schwerpunkt des Buches gelangen, den Darstellungen zorniger Gottheiten, die am besten Kreijgers Gedanken über die Ursprünge des tibetischen Götterhimmels vermitteln. Sicher ist, daß viele dieser Dharmapalas, der Beschützer der Wahren Lehre, in alten brahmanischen Vorstellungen wurzeln, wie etwa die fürchterliche Palden Lhamo oder der Totengott Yama. Viele andere sind vorbuddhistische Naturgottheiten, die durch weise Mystiker umgeformt wurden zu Verteidigern des Richtigen Glaubens. Eine Anzahl schwarzgrundiger Thankas sind seltene und besonders kunstvolle Beispiele dieser zornigen Götterwelt. Höhepunkt und von größter Seltenheit sind Thankas, die dem Gläubigen die Welt der Dämonen und Götter zeigen, die ihm im Bardo, in dem Zwischenreich, das er nach seinem irdischen Tod betritt und in der er sich 49 Tage bis zu seiner Wiedergeburt aufhalten wird, begegnen und versuchen werden, ihn vom rechten Weg abzubringen. Dakinis sind es mit Kronen aus Totenschädeln, mit Tier- und Vogelköpfen und mit tantrischen Symbolen in den Händen und Klauen, schamanistische Trommeln, Totenkopfszepter, Hackmesser und blutgefüllte Schädelschalen, Schlangen und Donnerkeile, ein alptraumhafter Reigen aus einer frühen, naturreligiösen Vorstellungswelt. Geradezu beruhigend sind demgegenüber die fünf wunderschönen Thankas mit Mandalas, harmonisch in Aufbau und Farbgebung, wenngleich auch hier die Details, etwa die Darstellung der acht Friedhöfe als Sinnbild acht unterschiedlicher Geistzustände, zu den frühen Wurzeln des tibetischen Buddhismus führt. Gleichgültig ob man nur die ästhetische Qualität dieser Thankas auf sich wirken läßt oder zusammen mit den erklärenden Texten versucht, Bedeutung und Ursprung zu ergründen, Tibetan Painting ist in jedem Fall ein wichtiger Beitrag zur tibetischen Kunst und Religion.