Vision Tibet – Geheimnis des Heilens

Autor/en: Wilfried Pfeffer
Verlag: Hans-Nietsch-Verlag
Erschienen: Freiburg 1998
Seiten: 144
Ausgabe: Illustrierter Hardcover-Einband
ISBN: 3-929475-77-4
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 1999

Besprechung:
Weder der Titel noch die Aufmachung und Ausstattung lassen uns hier ein wichtiges Buch über Tibet vermuten. Eher schon der Autor, der als Gründer des Tibetischen Förderkreises Freiburg weit über Freiburgs Grenzen hinaus für seine engagierte Förderung von tibetischen Projekten im Exil aber auch in Tibet selbst bekannt ist. Wilfried Pfeffer ist darüber hinaus Gründer und Leiter des 1997 gegründeten „Kailash Institutes für Tibetische Medizin“ in Freiburg und damit durchaus berufen, über tibetische Wege der Heilung von Krankheit zu schreiben. Ein Medizin-Ratgeber also, Helfer gegen Kopfweh, Depression und Durchfall? Weit gefehlt! „Vision Tibet“ ist ein anspruchsvolles, kenntnisreiches und in vieler Hinsicht ungewöhnliches Buch über den Buddhismus tibetischer Prägung. Das kann auch gar nicht anders sein denn die tibetische Medizin ist zutiefst Bestandteil buddhistischen Empfindens und Denkens. Wird doch Buddha selbst symbolisch auch als Arzt und seine Lehre, das Buddhadharma, als Medizin angesehen. Buddhistische Theorie und Praxis gelten damit als Heilmittel gegen alle geistigen und seelischen Störungen, die wiederum als Ursache aller Krankheiten gelten. Ein Buch über das Geheimnis des Heilens muß daher detailliert in die buddhistische Gedankenwelt einführen, in das tibetische Verständnis vom Werden und Aufbau des Makro- und des Mikrokosmos, in die Bedeutung von Licht und Energie, in die Bedeutung der fünf Elemente, der fünf Farben, der fünf Adi-Buddhas. Das Mandala und seine vielfältige Funktion und Bedeutung wird ebenso erklärt wie verschiedene Meditationsformen, das Kalachakra-Ritual und andere tantrische Praktiken. All das führt zu einer ganzheitlichen und dynamischen Betrachtungsweise des Menschen und seiner Leiden, der Ursachen des Leidens und der Möglichkeiten deren Heilung, die uns erstaunlich modern und aktuell erscheint. Die Existenz eines harmonischen Prinzips, einer Wechselwirkung zwischen Materie, Emotion und Energie, eines Gleichgewichts zwischen diesen drei Aspekten und der Beeinflussung dieses Gleichgewichts durch unsere Bewußtseinshaltung, alles buddhistisches Grundwissen, finden allmählich Eingang auch in die westliche Schulmedizin, in Psychologie und Psychoanalyse. Das angeborene Selbstheilungssystem, die Tendenz zum Gleichgewicht, das harmonische Prinzip können wir unterstützen oder boykottieren durch unsere Bewußtseinshaltung. Gier, Neid und Ängste schwächen das Selbstheilungssystem; Sanftmut, Aufmerksamkeit, Gelassenheit und Freude unterstützen es. Faszinierend an diesem Buch ist nicht allein der gelungene Versuch eines Suchenden und Wissenden, in die Geheimnisse des tibetischen Buddhismus einzuführen sondern es sind die vielen Querverweise zu westlichen Wissenschaften, zur Medizin, Psychologie, Psychosomatik, zur Chemie bis zur Astrophysik. Die Übereinstimmungen uralter, überlieferter Erkenntnisse mit modernen wissenschaftlichen Ergebnissen sind teilweise erstaunlich. So weisen etwa die Forschungsobjekte moderner Wissenschaften, Atome, Moleküle, Kristalle, Organe und Organsysteme, viele pflanzliche und tierische Lebewesen, meteorologische und geologische Phänomene, die Himmelskörper, Sonnensysteme und Galaxien durchweg mandalaförmige Strukturen auf. Die vorwissenschaftlichen Kulturen haben damit das Ordnungsprinzip des Universums intuitiv vollkommen richtig erkannt. Ein Grund mehr, die tibetischen Wege des Heilens von Krankheit ernst zu nehmen und in „Vision Tibet“ gründlich zu studieren. Dies umso mehr als die Lektüre nicht nur spannend und lehrreich sondern mitunter ausgesprochen kurzweilig ist. So etwa wenn der Autor für die nach dem Wesentlichen Suchenden Tibets, für die bewußten Abenteurer der inneren psychischen Welten, den Begriff des „Psychonauten“ prägt. Oder wenn er, um uns die Bedeutung der tibetischen Hochkultur vor Augen zu führen, als oberstes Ziel der tibetischen Klosteruniversitäten in den vergangenen 1300 Jahren die Entwicklung eines „geistigen Bruttosozialprodukts“ anführt – im Gegensatz zu der quasi zur Religion erhobenen Steigerung des materiellen Bruttosozialprodukts im Westen. Ob dies den Schluß des Autors trägt, hier die letzte Hochkultur dieser Erde vor sich zu haben, muß aber jeder Leser für sich selbst entscheiden.