Autor/en: Annemarie Schimmel
Verlag: Verlag C.H.Beck
Erschienen: München 2000
Seiten: 460
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: DM 68.50
ISBN: 3-406-46486-6
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 2000
Besprechung:
Die Bedeutung der Mongolen in der Weltgeschichte kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dschingis Khan hat sich das größte Reich der Menschheitsgeschichte erobert und beinahe wäre ihm auch Europa zur Beute geworden. Seine Nachkommen, Timur der Große vor allem, haben jahrhundertelang den asiatischen Kontinent in Atem gehalten. Ein unmittelbarer Abkömmling Timurs, Babur (1483 – 1530), mütterlicherseits auch mit Dschingis Khan verwandt, unternahm Raubzüge bis nach Indien, die sich in Eroberungszüge wandelten. Mit der siegreichen Schlacht bei Panipat unweit Delhi im Jahre 1526 begründete er das Mongolenreich in Indien, das sagenhafte Reich der Mogul-Kaiser, das erst 1857 im britischen Kolonialreich von Queen Victoria aufging. Das Reich der Großmoguln galt im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts als eine Art Märchenland mit unvorstellbaren Schätzen. Tatsächlich war dieses Märchenland das mächtigste islamische Reich in der Geschichte des Subkontinents und es ist durch Tagebücher und Autobiographien seiner Herrscher, durch Hofchroniken und zeitgenössische Geschichtswerke, nicht zuletzt durch bewundernde Berichte europäischer Besucher bestens dokumentiert. Akbar (1542 – 1605) war der erste der Großmoguln und viele halten ihn, Militärführer und Kunstmäzen zugleich, Eroberer und Bauherr, für den größten Herrscher des Mogul-Reiches. Sein Sohn Jahangir (1569 – 1627), in dessen Adern nun schon Rajputenblut floß, war fast ausschließlich mit Kunst, Natur und Wissenschaften beschäftigt und nur seiner tatkräftigen Frau Nur Jahan ist es zu danken, daß das Reich ordnungsgemäß verwaltet wurde. Unter Jahangir erreichte die Mogulkunst ihren Höhepunkt während unter seinem Sohn Shah Jahan (1592 – 1666) trotz der äußeren Blüte des Reiches der unerhörte Luxus des Hofes schon an seinen Grundfesten zu nagen beginnt. Aurangzeb (1618 bis 1707) schließlich ist der letzte der machtvollen Mogulherrscher und auch sein Versuch einer Wiederbelebung der strengen islamischen Ordnung kann den unaufhaltsamen Niedergang des Reiches nach seinem Tod nicht verhindern. Zahlreiche meist wenig fähige Nachkommen der Mogulkaiser wechseln einander dann in rascher Folge ab bis 1857 alles in Trümmer fällt. Annemarie Schimmel gelingt es in ihrer umfassenden Kulturgeschichte ein überaus lebendiges Bild dieses morgenländischen Reiches zu vermitteln. Dabei liegt der Schwerpunkt bei den drei Großen, bei Akbar, Janhangir und Shah Jahan, und der Bericht über diese knapp einhundert Jahre währende, höchste Blüte des Mogulreiches ist Hofberichterstattung, wie sie besser nicht sein könnte. Kenntnisreich, souverän, mit feinem Humor, gewürzt mit Anekdoten und, wo sie dem Verständnis dienen, Klatschgeschichten geht die Autorin auf das Leben am Hofe, auf Ämter, Ränge und Stellungen, auf das Leben der Frauen, auf die komplexe religiöse Lage und auf Handel und Wirtschaft ein. Wir erfahren wahrhaft erstaunliche Dinge, etwa über die Reisen der Großmoguln nach Kaschmir mit einem Troß von 35.000 Pferden und 10.000 Fußsoldaten und wandernden Zeltstädten von unvorstellbarar Größe und Prachtentfaltung. Wir werden Zeugen von Bedeutung, Größe und Charisma dieser Moguln aber auch von ihrer Schwäche gegenüber Laster und Lust, Zeugen auch von Intrigen, Verrat und Mord. Der bemerkenswerteste Zug dieser Herrscher aber ist ihr Sinn für ästhetische Werte. Ihre Residenzen in Delhi, Agra und Lahore waren einzigartige Zentren der schönen Künste und des Kunsthandwerks. Festungspaläste, Grabmäler und Gärten, Musik und Tanz, ein unvorstellbarer Reichtum an kostbarsten Textilien und Teppichen, Perlen und Juwelen wohin man sieht, Literatur, Kalligraphie und die feinsten Miniaturen der berühmtesten Maler ihrer Zeit werden durch Annemarie Schimmels Darstellung lebendig. Der Pfauenthron, das wohl berühmteste Juweliererzeugnis aller Zeiten, Textilien wie gewebte Luft – wir sehen sie auf Miniaturen schöner Frauen -, mit Teppichen ausgelegte Marmorpaläste, das Taj Mahal als Symbol für Schönheit und Liebe, ziehen an uns vorüber und verweben sich zu einem Gesamtkunstwerk einer wahrhaft einzigartigen orientalischen Hochkultur. Mit dieser bedeutenden Kulturgeschichte werden in den letzten Jahren erschienene Monographien zur Mogulkunst, Daniel Walkers Werk über indische Teppiche, Zebrowskis Buch über Gold, Silber und Bronze, die Schmuckbücher von Untracht und Weihreter und die Miniaturensammlung Padshahnama der Windsors von Beach und Koch in einen einheitlichen Zusammenhang gestellt. Asiatische Kunst und Kultur vom Feinsten – und alles begann mit Dschingis Khan und seinen mongolischen Horden. (- mb -)