Art of Embroidery – History of Style and Technique

Autor/en: Lanto Synge
Verlag: Antique Collectors Club
Erschienen: Woodbridge 2001
Seiten: 352
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 45.– engl.Pfund
ISBN: 1-85149-359-X
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Was hat die Menschheit zuerst gelernt: Das Weben oder das Sticken? Eine Antwort auf diese Frage wird es wohl niemals geben. Doch gibt es starke Argumente dafür, daß das Sticken am Anfang stand. Nadeln kennt man aus prähistorischen Funden und das Zusammennähen von Fellen und Häuten zu einfacher Kleidung dürfte als Fertigkeit lange vor der Erfindung des Webstuhls bekannt gewesen sein. Zusätzliche Stiche wurden dann verwandt um stark strapazierte Stellen oder Nähte zu verstärken. Von hier bis zur dekorativen, auch farblich abgesetzten Verzierung mit der Nadel, bis zur Geburt der Stickerei war es kein weiter Weg. So kann man die Stickerei sicherlich als eine der ältestens handwerklichen Fertigkeiten des Menschen ansehen, als ein früher und wichtiger Bestandteil textiler Kunst, welche seit jeher eine der wichtigsten Ausdrucksformen der Menschen gewesen ist. Eine Geschichte der Stickerei hat mit diesen Überlegungen zu beginnen, auch wenn die ältesten überlieferten Stickereien um Jahrhunderte, besser um Jahrtausende jünger sind und bestenfalls in das erste Millenium vor unserer Zeitrechnung datiert werden können. Daß sie durchweg aus ariden Zonen stammen, aus dem Westen Südamerikas, aus dem Tarimbecken oder aus Aegypten, hat nichts mit besonderen Fähigkeiten der Bewohner dieser Regionen zu tun, sondern allein mit dem für diese vergängliche Kunst günstigen klimatischen Bedingungen. In Europa finden wir diese Bedingungen nirgendwo, so daß hier die ältesten erhaltenen Nadelarbeiten erst dem frühen Mittelalter zuzurechnen sind. So beginnt Art of Embroidery mit dem um 1070 entstandenen, 70 Meter langen Teppich von Bayeux, einem bemerkenswerten, phantastisch erhaltenen und monumentalen Zeugnis europäischer Stickkunst von historischer Bedeutung und zugleich dem Charme naiver, bildhafter Erzählkunst. Lanto Synge, Ire von Geburt, verbunden der britischen Royal School of Needlework, beschränkt sich in seiner Geschichte der Stickerei im wesentlichen auf Arbeiten aus Europa und hier wiederum mit einem ganz deutlichen Schwerpunkt auf der Stickkunst Großbritanniens. Das ist nicht nur dem nationalen Denken eines britischen Autors zuzuschreiben, sondern vor allem den nahezu unerschöpflichen textilen Schätzen, die sich in Schlössern, Herrenhäusern, Landgütern und bürgerlichen Stadthaushalten der britischen Insel erhalten haben – und natürlich dem ungewöhnlich hohen Niveau, das englische Stickarbeiten seit jeher auszeichnet. Weit mehr als 300 farbige Abbildungen entfalten ein Kaleidoskop textiler Kunst vom frühen Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Der chronologische Aufbau der Darstellung wird nur unterbrochen durch eingeschobene Kapitel über die Rolle der Heraldik in der Stickerei, ein typisch englisches Thema, über Stickerei und Kleidung und schließlich über gestickte Bezüge für Möbel, für Stühle und Sofas. Hierzu gehören auch die Staatsbetten des 17. Jahrhunderts, von denen sich in den Großen Häusern Englands, Schottlands und Wales‘ etwa ein Dutzend erhalten hat, Prunk- und Paradebetten, die vom Betthimmel über schwere Vorhänge bis zum Bettüberwurf mit kostbarster Stickerei in verschiedenen Techniken verziert sind. Diese sowie Kirchengewänder, Wandbehänge, Sampler, Bucheinbände, Stellschirme und immer wieder gestickte Bilder vermitteln einen Eindruck von Vielfalt, Kunstfertigkeit und Stilentwicklung. Die gezeigten Beispiele stammen aus Dutzenden von Museen, Kirchenschätzen, privaten und öffentlichen Archiven und Sammlungen. Leider ist die Herkunft der Stücke nicht im Zusammenhang mit den Bildlegenden angegeben, sondern muß mühsam aus dem Fotoverzeichnis herausgesucht werden. Ein weiterer, schon erwähnter Nachteil des Buches ist die Konzentration auf Europa. Lediglich China und Indien werden am Ende in zwei Kapiteln abgehandelt, hier aber wieder mit besonderer Hervorhebung der für den europäischen Markt bestimmten Exportwaren. Dennoch ist Art of Embroidery für den Liebhaber dieser Textilkunst ein schönes und lehrreiches und für den Kenner und Sammler ein unentbehrliches Standardwerk. Man muß sich nur fragen, ob das dem Teppich von Bayeux gegenübergestellte, monumentale Stickereibild aus der Royal School of Needlework, das George VI, Eisenhower, Montgomery, Alanbrooke und Churchill vor einem Hintergrund gestickter Panzer und Kampfflugzeuge zeigt, das richtige Beispiel ist für das unverändert hohe Niveau britischer Stickkunst im 20. Jahrhundert. (- mb -)