Autor/en: Isabelle Denamour
Verlag: Flammarion
Erschienen: Paris 2003
Seiten: 192
Ausgabe: Hardbound mit Schutzumschlag
Preis: EURO 60.–
ISBN: 2-0801-1094-2
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2003
Besprechung:
Im vergangenen Jahrzehnt haben rustikale Arbeiten aus entlegenen Dörfern des Hohen Atlas und des Anti-Atlas den Markt marokkanischer Textilien dominiert. Es war eine von einigen konkurrierenden Sammlern angeheizte und von Händlern und Aufkäufern betriebene Jagd nach dem Unbekannten, noch nie Gesehenen und ästhetisch Überraschenden. Die Einsamkeit und Unzugänglichkeit mancher Regionen im Süden Marokkos hat durchaus bemerkenswerte, lokal begrenzte Web- und Dekortraditionen entstehen lassen, die bis vor kurzem unbekannt waren. Die Jäger wurden vielfach fündig. Doch die Zeit der Entdeckungen scheint nun vorbei zu sein. Nachdem auch die Truhen der wenigen Dörfer des Feija-Stammes in der steinwüstenhaften Bergregion des Anti-Atlas geplündert sind, und ihre mit Henna und eigenartigen Symbolen bemalten Wickel- und Kopftücher den Weg zu den Sammlern gefunden haben oder bei Spezialhändlern zu hohen Preisen auf Liebhaber warten, ist es an der Zeit, sich wieder auf die seit langem bekannten, ästhetisch und handwerklich hochrangigen, städtischen Textiltraditionen Marokkos zu besinnen. Während die Stammes- und Dorftextilien der Berberstämme selten ein hohes Alter haben, was ihrer Eigenart und Ursprünglichkeit freilich keinen Abbruch tut, können wir Arbeiten aus städtischen Zentren oft über Jahrhunderte zurückverfolgen. Das soeben bei Flammarion in französischer Sprache erschienene Buch über marokkanische Stickereien ist ein ideales Medium für diesen Rückblick und diese Rückbesinnung. Einem einführenden ersten Teil über die Techniken, Materialien, Farben und Verwendungszwecke dieser Textilien folgt eine „Reise durch das Land der Stickerei“, die in Tetuan beginnt und über Chechaouen, Fès, Meknès, Rabat und Salé bis nach Azemmour an der Atlantikküste führt. Auf dieser Reise begegnen wir etwa 200 außergewöhnlichen Stickarbeiten, der bunten Blütenpracht aus Tetuan ebenso wie monochromen Arbeiten aus Fès bis zu den ikonographisch eigenartigen Nadelarbeiten aus Azemmour. Es sind durchweg frühe, aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert stammende, ganz und gar typische Exemplare aus bekannten privaten und öffentlichen Sammlungen und Museen. Diese Reise durch das Land der Stickerei ermöglicht damit einen interessanten Vergleich der jeweiligen, von Stadt zu Stadt unterschiedlichen Sticktraditionen und der sie prägenden Einflüsse. Da sind zum Beispiel die nur durch den Fluß Bou Regreg getrennten Schwesterstädte Salé und Rabat: Während die Stickereien der Königsstadt Rabat einen starken europäischen Einfluss verraten – bunte, florale Muster, die aber die Eleganz und Leichtigkeit der Arbeiten aus Tetuan vermissen lassen – haben die Frauen von Salé echte marokkanische Volkskunst gestickt, dekorative geometrische Muster, monochrom oder in nur wenigen Farben. Viele seitengroße Detailaufnahmen ermöglichen ein genaues Studium der vielfältigen Sticktechniken. Aufgelockert wird die Reise durch eine Anzahl alter Fotografien, durch ein paar zum Thema passende Bilder von Orientalisten und durch ein Dutzend schöner Frauen- und Mädchenportraits, die die ganze Pracht marokkanischer Frauentrachten zeigen. (- mb – November 2003)