Autor/en: Karen Stolleis
Verlag: Schnell & Steiner Verlag
Erschienen: Regensburg 2001
Seiten: 140
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: EUR 35
ISBN: 3-7954-1254-4
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2002
Besprechung:
Trotz Reformation und Säkularisation haben die Kirchen den Lauf der Zeit ungleich besser überstanden als jede weltliche Institution. Welt- und Kaiserreiche vergingen, Residenzen und Paläste sanken in Schutt und Asche, Dynastien kamen und gingen, und mit ihnen wurden auch die Schätze, die einst von ihrer Macht und ihrem Reichtum zeugten, geplündert, vernichtet und in alle Welt verstreut. So haben sich Kunst und Kunsthandwerk des Mittelalters vorwiegend in Kirchen, im besonderen in den Schatzkammern der Dome, Münster und Kathedralen erhalten. Ganz besonders gilt dies für die vergänglichsten Werke frühen Kunsthandwerks, für Seidengewebe und Stickereien, aber auch für einfachere Textilien. Die Geschichte der textilen Künste wäre ungleich ärmer, gäbe es nicht die europäischen Kirchenschätze mit ihrem reichen Bestand an liturgischen Gewändern, an Bekleidungen von Altären, Wänden und Gestühl, von Kissen und Tüchern für vielfältige Zwecke, ihrem Bestand an kostbaren Garderoben von Gnadenbildern, an Reliqienhüllen und vielen anderen Gegenständen textiler Kirchenausstattung. So haben sich beispielsweise die frühesten europäischen Seidengewebe aus Lucca oder Venedig, aus Florenz und Genua so gut wie ausschließlich in Kirchenschätzen erhalten. Und dies obwohl es sich bei der kirchlichen Verwendung kostbarer Gewebe meist um eine Zweitverwendung handelte; zu teuer waren die zunächst aus Byzanz, dem vorderen Orient oder gar von noch weiter her nach Europa importierten Stoffe. Aber es war im Hoch- und Spätmittelalter üblich, den Kirchen wertvolle aber aus der Mode gekommene Kleidungsstücke und Haustextilien zu überlassen. Auf diese Weise sammelten sich in den Sakristeien von Domen und Münstern, von Bischofs-, Stifts und Klosterkirchen und in den Pfarrkirchen der reichen Handelsstädte Paramente in den unterschiedlichsten Farben und Materialien an, aus reich gemusterten Gold- und Samtbrokaten ebenso wie aus einfacheren Seiden- und Halbseidenstoffen oder Woll- und Leinentuchen. Karen Stolleis´ Beitrag zu Geschichte, Form und Material von katholischen Meßgewändern aus dem deutschsprachigen Raum ist ein lesens- und schauenswertes Buch über die Entwicklung des liturgischen Gewands und zugleich eine hochinteressante Lektüre zur Geschichte kostbarer Textilien und Bildstickereien in Europa vom 10. Jahrhundert bis heute. Die ältesten erhaltenen, aus der ottonischen und salischen Kaiserzeit überlieferten Gewänder bestehen aus einfarbigen in sich gemusterten, seltener aus mehrfarbigen Seidenstoffen, die aus Byzanz oder dem Vorderen Orient, manchmal auch aus dem maurischen Spanien nach Europa gelangten. Das blieb so bis ins 13. oder frühe 14. Jahrhundert denn Europa hatte zunächst weder das Material noch das Verfahren zur Herstellung dieser komplizierten, reich gemusterten Gewebe. An der chronologischen Darstellung der 48 vorgestellten und im Detail beschriebenen, vollständig erhaltenen liturgischen Gewänder, überwiegend Kasel, das Meßgewand des zelebrierenden Priesters, aber auch Damatika und Tunicellae, lässt sich dann die Geschichte der europäischen Seidenweberei ablesen, die in Italien begann, im 17. und 18. Jahrhundert einen Höhepunkt in Lyon und Tours erreichte und seit dem 18. Jahrhundert auch in Deutschland und England Fuß fasste. Über Historismus und Jugensstil führt schließlich der Weg des Meßgeandes bis zum gegenwärtigen Dialog zwischen Kirche und moderner Kunst. Doch bei all der bewußt gewählten Kostbarkeit der verwendeten Gewebe waren und sind nicht diese der Träger der christlichen Botschaft, sondern das gestickte Bild, das in prachtvollen Beispielen aus mittelalterlicher bis neuzeitlicher Produktion vertreten ist. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Die Kasel aus St. Martini in Braunschweig zeigt ein gesticktes Kreuz in reichster Gold-, Silber-, Seiden- und Perlstickerei. Der Gewandstoff selbst ist ein mamlukischer Seidenlampas aus dem 13./14. Jahrhundert mit einer Kufi-Inschrift. Deren unchristliche Bedeutung „Ruhm unserem Herrn, dem Sultan, lang währe seine Herrschaft“, war gewiß weder dem Handwerker noch dem zelebrierenden Priester bewußt. Messgewänder ist ein Buch, das seine Spannung und seinen Wert daraus bezieht, dass es Kirchengeschichte und textilhistorische Forschung kongenial miteinander verbindet.