Tülü – Long Pile Rugs from Central Anatolia

Autor/en: Taher Sabahi
Verlag: Cato Editore
Erschienen: Turin 1997
Seiten: 64
Ausgabe: Hardbound mit Schutzumschlag
Preis: US-$ 40.–
Kommentar: Michael Buddeberg, Oktober 1998

Besprechung:
Die Frage nach dem Ursprung des Teppichs werden wir wohl wohl nie beantworten können. Aus der Frühzeit der Teppichherstellung gibt es keine archäologischen Funde, keine Bestätigungen, keine Beweise, nur Vermutung und Spekulation. Die Erfindung der Nadel etwa 20.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung gab den Menschen erstmals die Möglichkeit, Fellstreifen dauerhaft aneinanderzufügen und durch die Wahl unterschiedlicher Farben einfache Muster zu bilden. Waren das die ersten „Teppiche“? Daß Tierfelle Vorbild für die ersten textilen Teppiche waren, ist naheliegend und das usbekische Wort Dschulchir („Bärenfell“) für zottelige, urige Schlafteppiche mag hierfür eine Bestätigung sein. Doch der Weg vom Fellteppich zum ersten Teppich aus textilem Material war lang. Erst im 5. Jahrtausend v.Chr. führten genetische Veränderungen bei domestizierten Schafen und Ziegen zu einem längeren, verspinnbaren Wollvlies, entwickelten sich die ersten nomadischen Hirtenkulturen und in diese Zeit können wohl auch die ersten Versuche datiert werden, Tierfelle aus versponnener Wolle zu kopieren. Die Entdeckung von Färbedrogen und die Entwicklung von Färbetechniken ließ dann auch nicht mehr lange auf sich warten und so mag das erste nomadische Produkt, das wir als Teppich bezeichnen können, von heute aus gesehen vielleicht 6000 Jahre alt sein. Es besteht wohl keine Hoffnung, davon archäologische Beweise zu finden, jedoch haben wir allen Anlaß zu der Annahme, daß sich die frühesten Techniken der Teppichherstellung in bisher wenig beachteten, primitiven nomadischen Schlafteppichen bis auf den heutigen Tag erhalten haben. Die anatolischen Siirt, die kaukasischen Zakatalas, die schon erwähnten Dschulchirs aus Usbekisten und Afghanistan, Wangden-Dromtse aus Tibet, persische Gabbehs, Filikli aus Zentalana-tolien und schließlich die Tülü aus der Gegend um Karapinar und Obruk rechnen zu diesen primitiven, zotteligen, langflorigen Produkten, die besser als jeder andere Knüpfteppich dazu geeignet sind, Schutz gegen die Feuchtigkeit des Bodens und die Kälte der Nacht zu gewähren. Das Neue hat nicht immer das Alte verdrängt und es ist sehr wahrscheinlich, daß sich neben der immer mehr verfeinerten Knüpftechnik für ganz spezielle Anwendungszwecke einfache und ursprüngliche Methoden erhielten. Die Vielfalt der bei diesen einfachen Teppichen anzutreffenden Techniken, vor ailem der Gebrauch unterschiedlicher Schiingentechniken lassen sie uns heute als Studienobjekte für die Frühform oder die Vorläufer der Knüpfteppiche erscheinen. Einer dieser Gruppen, den anatolischen Tülü ist der schmale Band von Sabahi gewidmet, der eine Sammlung von 38 dieser Tülü und Beispiele seiner Verwandten aus anderen Gebieten vorstellt. Auch Sabahi spürt im einleitenden Text dem Ursprung des Teppichs nach und gibt wertvolle Hinweise auf archäologische Zeugnisse aus Mesopotamien, Ägypten und auf die Skythen des Altai denn schließlich wurde in den Turganen von Pazyryk nicht nur der berühmte Pazyryk-Teppich gefunden sondern auch Fragmente solcher Zottel-Teppiche. Verblüffend ist bei aller technischen Primitivität die Vielfalt und Schönheit der Tülü-Muster, die, entsprechend ihrer archaischen Funktion auch eine archaische Bedeutung haben. Diese Teppiche gewähren Schutz nicht nur vor Nässe und Kälte sondern auch vor den bösen Mächten, die sich in der Nacht frei bewegen. Da diese Amulette oder magischen Symbole, die einen Schutzwall vor dem Bösen errichten, auch eine dekorative Wirkung haben, sind die Tülüs liebenswerte, schöne, und leider seltene Sammelobjekte.