Autor/en: John Guy
Verlag: Thames & Hudson
Erschienen: London 1998
Seiten: 192
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: £ 29.95
ISBN: 0-500-01863-4
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 1998
Besprechung:
Woven Cargoes ist nicht nur ein wunderschönes Textilbuch mit einer schier überwältigenden Fülle nie gesehener früher indischer Textilien. Woven Cargoes ist vor allem eine faszinierende Geschichte eines bisher kaum erforschten und nicht erzählten Kapitels asiatischer Kultur, an der spätestens seit dem sechzehnten Jahrhundert europäische Abenteurer und Kaufherren kräftig mitgeschrieben haben. Es ist die komplexe Geschichte des Handels mit indischen Textilien in Südost- und in Ostasien. Spätestens seit Beginn der Zeitenwende blühte in jener entfernten, damals im fernen Europa noch vollkommen unbekannten Region bereits ein lebhafter Handel, bei dem Textilien stets eine Schlüsselrolle gespielt haben. Als Jahrhunderte später europäische Handelskapitäne auf der Suche nach den in Europa mit Gold aufgewogenen Gewürzen die Region entdeckten, fanden sie ein fest in der Hand arabischer und asiatischer Händler liegendes Tauschhandelssystem vor, dessen überall gültige Währung aus indischen Textilien bestand. Im ganzen Südost- und ostasiatischen Raum, in Malaysia, Indonesien und Burma, in Thailand aber auch in China und bis nach Japan waren indische Textilien für die Feinheit der Gewebe, die Brillanz ihrer Farben, den Reichtum der Muster und die Perfektion der Färbe- und Webtechnik bekannt. Das galt für einfache bedruckte Baumwollstoffe, Massenware für jedermann, ebenso wie für die im Doppelikatverfahren gefärbten Patolas aus Seide, begehrte Luxusgüter für die Oberschichten. Holländer, Portugiesen und Engländer begriffen rasch das Prinzip, erwarben fortan die begehrten Textilien in Gujarat oder an der Koromandelküste, Zentren der mittelalterlichen indischen Textilproduktion, und tauschten sie auf den „Gewürzinseln“ gegen Nelken, Muskat, Sandelholz und Pfeffer. Wegen dieser reinen Funktion als Währung im Tauschhandel erreichten damals nur wenige dieser Textilien den Westen. Auch in Indien selbst wurden diese Stoffe als kommerzielle Exportware wenig geschätzt und kaum bewahrt – selbst das Calico-Museum in Ahmenabad hat nur kleine Bestände – und in den Bestimmungsländern, so glaubte man jedenfalls bisher, verhinderten die klimatischen Verhältnisse ihre Erhaltung. John Guy spürt in „Woven Cargoes“ unter Verwendung der raren Quellen, vor allem von Berichten früher Reisender und Händler, von alten Archiven, von den wenigen frühen bildlichen Dokumenten, unter Verwendung von archäologischen Funden und Feldforschungsergebnissen aus jüngster Zeit, der Geschichte des Handels mit Gewürzen gegen Textilien nach, der im 17. und 18. Jahrhundert seine Blütezeit erlebte. Das wäre bei all der Sorgfalt und Akribie ein recht akademisches Unterfangen denn Anschauungsmaterial aus dieser Zeit ist kaum erhalten. So meinte man bisher und wird durch dieses Buch überraschend eines Besseren belehrt. John Guy ist Kurator am Victoria & Albert Museum in London und hat in dieser Funktion Zugang und Kenntnis zu der mit großem Abstand weltweit umfangreichsten Sammlung früher indischer Exporttextilien für den Südost- und ostasiatischen Markt. Wir finden reichstes Anschauungsmaterial und zwar nicht nur die Fragmente früher indischer Blockdrucke, wie sie in Fostat gefunden wurden, sondern vollständige Original-Textilien aus der Zeit des 13. bis zum 18. Jahrhundert. Viele der frühen Stücke sind radiocarbondatiert und wir staunen etwa über die Farb- und Formsprache eines bedruckten Baumwollstoffes mit der Radiocarbondatierung 1340 +/- 40 Jahre. Die große Zahl sehr früher und weitgehend vollständig erhaltener indischer Textilien, vor allem bedruckter Baumwollstoffe, mit zuverlässigen Radiocarbondatierungen ist die große Überraschung dieser Publikation. Wir finden dann aber auch Datierungen wie „1720 +/- 40“, die, wie man inzwischen weiß, für eine zuverlässige Altersbestimmung nichts hergeben. Gleichwohl ist Woven Cargoes ein unerhört spannender Streifzug durch uralte asiatische Design-Geschichte, ein Bericht über die zunehmende Präsenz des europäischen Handels in dieser Region, über Macht und Bedeutung der britischen Ostindischen Kompagnie und der Dutch East lndia Company, beides Vorläufer und Wegbereiter der kolonialen europäischen Machtzentren in Indien und Südostasien, gegründet auf den Handel mit Textilien und Gewürzen. Woven Cargoes ist sowohl von der inhaltlichen Bearbeitung des Stoffes wie auch vom überaus reichhaltigen und extrem seltenen Abbildungsmaterial ein rundum empfehlenswertes Buch. (- mb -)