The History of Central Asia – Four Volumes

Autor/en:         Christoph Baumer                                             

Verlag:            I.B.Tauris – Bloomsbury Publishing

Erschienen:     London New York, 2012 bis 2018,

Seiten:             pro Band ca. 400 (siehe unten)

Buchart:          Leinen mit Schutzumschlag

Preis:               Siehe Internet

ISBN:             Siehe unten

Kommentar:    Michael Buddeberg

Für einen Autor, gleich welcher Couleur oder Fachrichtung, ist es eine unglaublich ambitionierte Idee, eine Geschichte Zentralasiens von den ersten Spuren des Homo Sapiens bis ins 21. Jahrhundert zu schreiben. Christoph Baumer hat es gewagt und es ist ihm gelungen – glänzend gelungen Zwischen 2012 und 2018 hat er vier gewichtige und reich illustrierte Bände vorgelegt, die das Thema lückenlos behandeln. Lückenlos heißt hier, dass Baumer in diesem Geschichtswerk die Bereiche Politik, Gesellschaft und Kultur mit all ihren Entwicklungen, Verästelungen und Überschneidungen über all die Jahrtausende konzentriert aber umfassend, manchmal überraschend, stets mit wissenschaftlicher Tiefe, immer aber spannend dem Leser nahebringt. In einem Zeitalter der Spezialisten, die immer mehr über immer weniger wissen, ist Christoph Baumer eine Ausnahmeerscheinung, ein wahrer Generalist, in dem Entdecker, Historiker, Archäologe, Forschungsreisender, Abenteurer, Kunsthistoriker und Fotograf sich in einer Person vereinigen, all das verbunden mit einer geradezu enthusiastischen Leidenschaft für Zentralasien, eine zehn Millionen Quadratkilometer große Region der Superlative und Extreme.

Da eine Inhaltsangabe – und sei sie noch so knapp – den Rahmen einer Rezension sprengen würde, werden im Folgenden die vier Bände, deren Titel, der behandelte Zeitrahmen und dieser jeweils mit einigen herausragenden Highlights vorgestellt. Zuvor jedoch Hinweise auf das wichtige Beiwerk, das die Beschäftigung mit dem Inhalt, das Verständnis für Zusammenhänge und Entwicklungen und schließlich auch das Auffinden vom Texten zu speziellen Fragen erleichtert. Das sind zunächst die in jeden Band verstreuten, aussagekräftigen Karten, die immer dann optisch helfen, wenn sich die Grenzen zwischen Stämmen, Völkern oder politischen Positionen aufgrund von Kriegen, Migration oder warum auch immer verschieben. Zweitens begleiten Illustrationen mannigfacher Art den Gang der Geschichte und illuminieren den Text je nach dem beschriebenen Zeitalter mit Bildern von archäologischen Stätten, ausgegrabenen Objekten, Kunstwerken, frühen Dokumenten und Fotografien und vor allem mit Fotos des Autors vom hier und jetzt, von Ruinen, Landschaften, modernen Städten und Bilder von Menschen im täglichen Leben und bei traditionellen Festen, Schließlich gibt es Indices, getrennt nach Begriffen, Personen und Orten, die das Opus zu einem Nachschlagewerk aufwerten.

Band 1 (382 Seiten; ISBN 978-1-78076-060-5) behandelt den Zeitraum von Paläolithikum bis etwa zum zweiten vorchristlichen Jahrhundert und trägt den Titel „The Age of the Steppe Warriors“. Es ist vor allem die Zeit der kriegerischen Reiternomaden, die sich im letzten vorchristlichen Jahrtausend aus den Tiefen Zentralasiens in dessen Westen aufmachten, die Zeit der Skythen und Sarmaten, um hier die prominentesten Stämme zu nennen. Sie zeichnet sich durch eine relative Informationsdichte aus und beansprucht einen guten Teil des Buches. Es waren zwar schriftlose Kulturen, über die wir jedoch durch die frühe Geschichtsschreibung viel wissen. Hervorzuheben ist hier vor allem der griechische Historiker und Geograph Herodot, der aufgrund mehrerer Reisen in den Westen Zentralasiens diese Stammeskulturen, deren Gebräuche und Mythen aus eigener Anschauung beschrieb. Schon er berichtete über die erstaunlichen Begräbnisrituale skythischer Könige und hochrangiger Kriegerfürsten, die mit Gemahlin, Konkubinen, Hofstaat und dutzenden von Lieblingspferden in gewaltigen Kurganen beigesetzt wurden. Bedeutende Ausgrabungen im 20 Jahrhundert haben diese Berichte bestätigt und noch weit übertroffen. Auch wenn die meisten der bisher geöffneten Kurgane längst von Grabräubern geplündert waren, ist die anschauliche Beschreibung dieser Grabanlagen und Begräbnisrituale spannend und geprägt von einem Gefühl zwischen Grauen und Faszination. Und trotz der Grabräuber wurde in den Kurganen und bei Zufallsentdeckungen so viel Goldgerät und Goldschmuck gefunden, dass man versucht ist, diese Epoche nicht nur als „Eisenzeit“ sondern ebensogut als „Goldzeit“ zu bezeichnen. Hier ist die Sammlung des Zaren Peter der Große in der Eremitage in St. Petersburg, die den ästhetisch einzigartigen skythisch-sibirischen Tierstil, neben vielen anderen Exemplaren aus russischen und anderen zentralasiatischen Museen zeigt, bestens dokumentiert.

zweiten Bandes.

Band 2 (408 Seiten; ISBN 978-1-78ß76-832-8) trägt den Titel „The Age of the Silk Roads“, also etwa die Zeit vom Jahre 200 v.Chr. bis 900 nach Chr. und behandelt das Phänomen wie der Austausch und Wege von Gütern, Fertigkeiten, Ideen und Religionen im ersten nachchristlichen Jahrtausend in einem unglaublichen Maße zunahmen, damit Lebensqualität, Wohlstand und Mobilität in Zentralasien verbesserte, zugleich aber neue Gegebenheiten, Konflikte und Kriege schuf. So gut wie alle zentralasiatischen Völker, Reiche und Stammesgebilde aber auch deren Anrainer waren von diesem Phänomen betroffen, erlebten Aufbruch und Niedergang, Blüte und Vergehen bis schließlich gegen Ende dieser Epoche die vom Islam und von den Mongolen verursachten Stürme die Reste der Seidenstraßen wegfegten, doch das ist schon das Thema des dritten Bandes. Einen Schwerpunkt des zweiten Bandes setzt der Autor auf die Wüstenregionen zwischen dem nördlichen und dem südlichen Teil der im Osten Zentralasiens verlaufenden Seidenstraße, der Taklamakan und der Lop Nor. Das verwundert nicht, wenn man weiß, dass Christoph Baumer, den Spuren der Forscher Nicolai Prschewalski, Sven Hedin, Aurel Stein und Albert von LeCoq folgend in den Jahren 1994 bis 2009 ein halbes Dutzend große, gut ausgerüstete Expeditionen in diese menschenfeindlichen Regionen durchgeführt hat. Die Entdeckung, besser Wiederentdeckung vom Sand verschütteter und vom Wüstenwind gelegentlich wieder freigelegter Siedlungen, Festungen und Klosteranlagen wie Niya, Dandan Oilik, Mazar Tagh, Xiaohe und anderer, zur Zeit der Seidenstraße blühende Oasen ist moderne Feldforschung auf hohem Niveau. Baumers Fotografien bizarrer Ruinen, von Wind und Sand erodierter Holzskulpturen und halb freigelegter Mumien sind Höhepunkte dieses zweiten Bandes.

Band 3 (392 Seiten; ISBN 978-1-78453-490-5). „The Age of Islam and the Mongols“ erfasst das 9. bis 15. Jahrhundert und schon der Titel stellt klar, dass hier neue Triebfedern den Lauf der Geschichte bestimmen. Weltanschauungen oder, besser, Grundüberzeugungen geben hier den Handlungsrahmen. Die gewaltsame Verbreitung des Islam ist kaum denkbar ohne die Idee des Dschihad, den „Heiligen Krieg“ oder, mit anderen Worten, die Lizenz, über ungläubige Nachbarn herzufallen. Ganz anders die Mongolen. Deren Eroberungszüge, die wie ein Sturm über Zentralasien bis an die Grenzen Europas zogen und die im Verlauf eines halben Jahrhunderts das größte Reich erschaffen haben, das diese Welt je gesehen hat, liegt nichts anderes zugrunde als die Idee von Macht und Eroberung verbunden mit dem Bewusstsein dieses Ziel durch überlegene Kampfkunst und Kriegstechnik auch erreichen zu können. Von dieser, zugegeben vereinfachten Sichtweise ist es erstaunlich, dass beide trotz der unterschiedlichen Triebfedern für ihren Expansionsdrang zugleich den Nährboden für außergewöhnliche kulturelle Leistungen schufen. Wissenschaft und Philosophie erlebten, angestoßen von den Arabern an ihrer südlichen Peripherie auch in den islamisierten Regionen Zentralasiens eine Blüte sondergleichen. In den exakten Wissenschaften Mathematik, Chemie, Astronomie, Medizin, Geometrie, Mechanik und Hydraulik, um nur dien wichtigsten zu nennen, wurde in kurzer Zeit ein Niveau erreicht, das dem Westen um hunderte von Jahren voraus war. So wurden etwa die Grundlagen automatisch sich selbst regelnder Systeme damals geschaffen. Dutzende von islamischen Wissenschaftlern und Philosophen werden von Baumer mit Namen, Lebensdaten und Leistungen genannt. Ganz anders auch hier das kulturelle Erbe der Mongolen. Nach ihren alles andere als zimperlichen Eroberungen erwiesen sie sich als Machthaber, die mit Toleranz und Diplomatie den internationalen Handel beflügelten. Die Verbreitung chinesischer Erfindungen sowie handwerklicher und künstlerischer Fähigkeiten aus dem Reich der Mitte, man denke nur an die Textilien oder das Papier, bis ins südliche Europa ist ohne die mongolische Toleranz nicht denkbar. Architektur und Buchmalerei schließlich erlebten unter der mongolischen Dynastie der Ilkhaniden eine Blüte.

Band 4 (382 Seiten; ISBN 978-1-78831-049-9) So rasch das Weltreich der Mongolen entstanden war, so rasch ist es zerfallen. „The Age of Decline and Revival“ steht über dem vierten Band, der mit dem Zerfall des Reiches von Dschingis Khan unter seinen Nachfolgern beginnt und letztlich zu einem Konglomerat sich gegenseitig bekriegender mehr oder weniger bedeutungsloser Khanate, Königreiche und Fürstentümer führt, die Zentralasien politisch an den Rand der Weltgeschichte rücken. Das ändert sich erst im 19. Jahrhundert, in dem das „Great Game“ beginnt. Das Great Game ist ein feststehender Begriff für den imperialen Kampf zwischen England und Russland um Territorien in Zentralasien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ein Kampf, der zwar nie zum offenen Konflikt führte aber geprägt war von Misstrauen, Drohungen, Bluff und strategischen Konzepten. Eine neue ideologische und geopolitische Gesamtlage war im 19. Jahrhundert entstanden. Angefangen hatte es mit Napoleons Traum eines nahezu grenzenlosen Imperiums und dessen Zerschlagung. Aber die Idee machte Schule, der moderne Imperialismus war geboren, der russische Zar versuchte, Kontrolle und Macht über Innerasien zu gewinnen, und die Ausdehnung des Britischen Weltreichs auf den indischen Subkontinent durch die Machtübernahme der East India Company ließ erstmals in der Geschichte fiktive Grenzkonflikte zwischen Russland und England entstehen. Die britische Angst, Russland würde Turkestan als Sprungbrett für den Weg nach Britisch-Indien benutzen war greifbar, und als dritte, nur schwer einzuschätzende Macht war die mandschurische Qing-Dynastie mit ihrer Eroberung von Teilen der Mongolei und von Ost-Turkestan, der Provinz Xinjiang, auf den Plan getreten. Diplomatische, aus heutiger Sicht eher an geheimdienstliche Aktivitäten erinnernde Aktionen bestimmten über Jahrzehnte das politische Geschehen in Zentralasien. Der spektakuläre Eroberungszug von Francis Younghusband nach Tibet im Jahre 1904, getragen von der Absicht, den Russen bei der Eroberung des Dachs der Welt zuvorzukommen war die größte Militäraktion des Great Game und läutete zugleich dessen Ende ein, das mit der russisch-britischen Asienkonvention von 1907 besiegelt wurde. Vorläufig, muss man sagen, denn der russische Überfall auf Afghanistan und das Eingreifen der USA können durchaus als Fortsetzung des Great Game verstanden werden. Und ist nicht der Überfall Putins auf die Ukraine im Februar 2022 ein Rückfall in den Imperialismus des 19. Jahrhunderts und damit ebenfalls eine Fortsetzung der Great Game?

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