Autor/en: Charles Newton, Tim Stanley
Verlag: Victoria & Albert Publications
Erschienen: London 2007
Seiten: 126 Seiten und mehrere Ausklapptafeln
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 30.– engl. Pfund
ISBN: 978-1-85177-505-7
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 2007
Besprechung:
Das Victoria & Albert Museum in London (V&A) besitzt die weltweit größte und wichtigste Sammlung von Aquarellen, Drucken und Zeichnungen mit osmanischen Motiven von europäischen Künstlern. Dies nicht nur weil das V&A im Jahre 1985 eine bedeutende Sammlung solcher Sujets von Robert Searight, einem ehemaligen Direktor der Shell Corporation, erwerben konnte, sondern vor allem weil das V&A sozusagen von Anfang an dabei war. Die Gründung des Museums im Jahre 1852 fiel in eine Zeit als das europäische Interesse für den Orient seinem Höhepunkt zustrebte, als Künstler entdeckt hatten, dass die Länder des östlichen Mittelmeeres, die so genannte „Levante“, relativ problemlos zu bereisen waren und sie sich so in der Lage sahen, eine steigende Nachfrage nach Bildern von dort zu befriedigen. Diese besondere Art der Genremalerei des 19. Jahrhunderts, später unter dem Begriff „Orientalismus“ zusammengefasst, ist freilich häufig alles andere als eine Wiedergabe der Realität. Die Orientbegeisterung des 19. Jahrhunderts, die mit Napoleons Ägyptenfeldzug und den Berichten und Bildern von alten Monumenten, pittoresken Städten, von Handwerkskunst und exotischer Flora und Fauna begonnen hatte, war von Vorurteilen geprägt und so ist es oft nicht leicht, zu entscheiden, ob die Bilder der Orientalisten den Orient so darstellen, wie er war oder wie die Maler ihn sich vorstellten. Das gilt vor allem für die beliebten Haremsszenen oder die überproportional vielen Bilden von Odalisken oder Bayaderen, die ihre Entstehung vor allem dem Umstand danken, dass mit dem exotisch ethnologischen Hintergrund des fernen Orient sogar das mehr oder weniger hüllenlose Bildnis von Haremssklavinnen und Tänzerinnen selbst im prüden 19. Jahrhundert geduldet war. Dennoch sind die Bilder der Orientalisten immer noch die beste visuelle Information über das osmanische Reich im 19. Jahrhundert, die wir besitzen. Allerdings ist nur ein kleiner Teil der etwa einhundert in dem Buch des V&A wiedergegebenen und mit sorgfältigen Kommentaren von Charles Newton versehenen Bilder, dem Orientalismus zuzuordnen. Tatsächlich spannt sich der Bogen der Bilder aus dem osmanischen Reich von Dürer mit seinem Holzschnitt der türkischen Familie von 1497 bis zu einer 1925 von Matisse lithographierten Odaliske. Frühe Fotografien aus der Mitte der 19. Jahrhunderts stehen Veduten im Stil des 18. Jahrhunderts oder einer realistisch impressionistischen Zeichnung des Goldenen Horns des frühen 20. Jahrhunderts gegenüber. Portraits, exakte Architekturzeichnungen, Karten, Tierskizzen und Szenen aus dem täglichen Leben, vermitteln nicht nur einen Eindruck der Region und ihrer Menschen, sondern sie zeigen vor allem, welche Faszination der Orient auf Europa, auf europäische Künstler schon immer ausgeübt hat. Der einleitende Essay von Tim Stanley behandelt die Geschichte der Sammlung und gibt einen Überblick über das durchaus wechselvolle und reiche Geschehen gegenseitiger künstlerischer Inspiration zwischen dem Osmanischen Reich und Europa. Die Berufung Gentile Bellinis als Hofmaler von Sultan Mehmet II (1451-1481), die Übernahme europäischer Portrait- und Vedutenmalerei durch die Osmanen, erste Veduten europäischer Maler des 18. Jahrhunderts und der Orientalismus in der europäischen Kunst, sind einige Stationen dieser interessanten und lesenswerten Geschichte.