Autor/en: Alfried Wieczorek, Mamoun Fansa, Harald Meller (Hrsg)
Verlag: Reiss-Engelhorn-Museen u. Verlag Philipp von Zabern
Erschienen: Mannheim und Mainz 2005
Seiten: 518
Ausgabe: Hardcover illustriert mit Schutzumschlag
Preis: € 39.90
ISBN: 3-8053-3513-X (buchhandel), 3-8053-3599-7 (Museum)
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2006
Besprechung:
Die Kreuzzüge vom Ende des 11. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts sind ein hochaktuelles Thema. Bis zum Konzil von Clermont im Jahre 1095, als Papst Urban II die Christenheit zum Kampf gegen den Islam aufrief, haben in Kleinasien, an der Levante, auch in Ägypten, die verschiedenen Glaubensgemeinschaften, also Muslime, Christen und Juden, relativ ungehindert und friedlich mit- und nebeneinander gelebt. Doch der beginnende, als Pilgerfahrt verbrämte und fast zwei Jahrhunderte währende Kampf von Rechtgläubigen gegen Heiden trieb einen Keil zwischen Christentum und Islam. Es begann eine Konfrontation zwischen Orient und Okzident, deren Folgen bis heute nachwirken und die am Anfang des 21. Jahrhunderts eine neue, fatale Brisanz gewonnen haben. Das ist die eine Seite. Die andere ist die, dass unsere gesamte westliche Kultur, ihre philosophischen Grundlagen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, Sprache und Literatur, Kunst und Musik, ohne die Kreuzzüge, ohne diese frühe Begegnung mit dem Islam und der arabischen Welt nicht denkbar wäre, jedenfalls einen ganz anderen Verlauf genommen hätte. Machen wir uns nichts vor: Das Europa jener Zeit bestand vorwiegend aus Urwäldern, darin kleine und wenig entwickelte Gemeinwesen, und es gab einen tastenden Anfang einer vom Orient übernommenen Hochreligion, die sich erst noch durchsetzen musste. Der vermeintliche Feind im Osten, die Sarazenen, waren kulturell und technologisch weit überlegen, sie standen auf dem Boden jahrtausende alter Kulturen, besaßen soziale Strukturen und hatten Kenntnisse von Wassertechnik, Städtebau und Astronomie; um nur einiges zu nennen. Die staunenden Kreuzfahrer fanden dort eindrucksvolle Städte vor, prunkvolle Gebäude, Krankenhäuser, Apotheken, Schulen und prächtige Moscheen, sie lernten Stoffe wie Samt und Seide, kostbare Keramik- und Glaswaren und eine nie gekannte Vielfalt feiner Gewürze kennen. Die kultivierte Lebensart der islamischen Welt und die Prachtentfaltung an den herrschaftlichen Höfen der Sultane hatten nachhaltige Auswirkungen auf die Ankömmlinge aus dem Norden. Ungeachtet der kriegerischen Auseinandersetzungen blühte der Handel und philosophische, naturwissenschaftliche und medizinische Erkenntnisse gelangten nach Europa. Dieser Begegnung der Kulturen sind die Ausstellung „Saladin und die Kreuzfahrer“ (noch bis zum 02.07 im Landesmuseum in Oldenburg und vom 23.07. bis zum 05.11.2006 im Reiss-Engelhorn Museum in Mannheim) und das dazu erschienene fulminante Katalogbuch gewidmet. Die in den Vordergrund gerückte Figur des Sultan Saladin, eine schon damals sowohl von Muslimen wie von Christen hochgeschätzte, charismatische Persönlichkeit soll die muslimische Sicht auf die Kreuzzüge und ihre westlichen Protagonisten betonen. Auch wenn der erste Kreuzzug wie ein unerwarteter Sturmwind über die damals zerrissene und in religiösen Streitigkeiten befangene muslimische Welt hinwegfegte und mit der Eroberung Jerusalems im Jahre 1099 gipfelte, so begegnete diese Welt ihren Eroberern doch mit großer Skepsis. Die Franken, wie man sie pauschal benannte, wurden zwar wegen ihres Kampfesmuts und ihrer kompromisslosen Kriegsführung bewundert, doch in muslimischen Augen waren sie ignorante Barbaren, deren unkultiviertes Verhalten, deren moralische Minderwertigkeit und deren mangelnde Hygiene sie auf eine deutlich niedrigere Kulturstufe stellte. So ist es, aus muslimischer Sicht, nur konsequent, dass Saladin, nachdem er die militärischen Kräfte des Islam geeint hatte, im Juli 1187 bei Hattin das Kreuzfahrerheer vernichtend schlug und drei Monate später Jerusalem zurückeroberte. Die damit militärisch gescheiterten und politisch letzten Endes erfolglosen Kreuzzüge – weitere Kreuzzüge im 13. Jahrhundert entwickelten sich durchweg zum Desaster – änderten indessen nichts an ihrem prägenden Einfluss auf die europäische Kultur. Nicht weniger als 33 Essays in dem Katalogbuch befassen sich mit diesem Thema und beleuchten es aus historischer, religionsgeschichtlicher und kunsthistorischer Sicht. Stadtkulturen, Handelsbeziehungen und natürlich die Gegenspieler von Sultan Saladin, Friedrich Barbarossa, Philipp-August von Frankreich und, allen voran, Richard Löwenherz, der als der mittelalterliche Ritter schlechthin zur Legende wurde und vieles anderes mehr bilden die Themen. Ein ganz zentrale Diskussionspunkt – vor allem natürlich im Hinblick auf die ausgestellten und im Katalogbuch gezeigten Exponate – ist die Frage „Was ist Kreuzfahrerkunst?“ Wie immer man diese Frage auch beantwortet – nur ein kleiner Teil der in der Ausstellung und im Katalog gezeigten Objekte dürfte Kreuzfahrerkunst im eigentlichen Sinne sein, also für Auftraggeber aus dem Kreuzfahrermilieu angefertigte Kunstgegenstände. Dennoch, das Thema ist nicht verfehlt, denn die Zusammen- und Gegenüberstellung islamischer und europäischer Objekte aus jener Zeit, Miniaturen, Glas, Metallobjekte, Artefakte aus Holz und Stein, Urkunden, Waffen und Münzen, gibt ein beredtes Zeugnis von der Begegnung der Kulturen und deren gegenseitiger Beeinflussung. Von diesem Austausch erhielt das mittelalterliche Europa entscheidende Impulse. Ohne die islamische Überlieferung griechisch-antiken Wissens wäre die europäische Geistesgeschichte erheblich ärmer, ohne den kulturellen Schmelztiegel Jerusalem wäre der Kunsthandel jener Zeit und unsere heutigen Domschätze und Museen längst nicht so gut bestückt und in Geometrie, Astronomie und in den meisten freien Wissenschaften hätten wichtige Erkenntnisse für deren Entwicklung schlicht gefehlt. Fast 500 Abbildungen, natürlich nicht nur der ausgestellten Objekte, sondern auch der Architektur aus jener Zeit, etwa vom Crac des Chevaliers, der Kreuzfahrerburg schlechthin, vervollständigen das Buch zu einem herausragenden Informations- und Nachschlagewerk über die Zeit der Kreuzzüge. Zeittafeln, chronologische Übersichten, Karten und eine sehr umfangreiche Bibliographie lassen keinen Wunsch offen. Ein Buch, das dem Laien und dem Kenner gleichermaßen Nutzen und Freude bereitet.